„Der Aussendienst gehört auf die Strasse? Ein Denkfehler!“

Missverständnisse über den Vertrieb im Allgemeinen und Mythen im Außendienst im Speziellen halten sich hartnäckig. Das hängt teils mit der fehlenden Erfahrung der Akteure zusammen, aber auch damit, dass Vertrieb in Forschung und Lehre immer noch vernachlässigt wird, sagt der Vertriebsexperte und -redner Dirk Kreuter.

Der Außendienst gehört auf die Straße? Gilt das auch heute noch?
Der Außendienst gehört auf die Straße? Gilt das auch heute noch?© Aleksei Demitsev/stock.adobe.com

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Im Gespräch mit Vertriebszeitung.de räumt er mit den größten Missverständnissen und Mythen im Außendienst auf.

Herr Kreuter, Sie schöpfen aus einem reichen Fundus an Vertriebserfahrung. Was ist Ihrer Meinung nach eines der größten Missverständnisse?

Der Außendienst gehört auf die Straße.“ Verkäufer werden für Resultate bezahlt, für Deckungsbeiträge, für Umsätze, für Neukunden. Aber nicht für Besuche. Fleiß ist zwar eine Grundtugend im Vertrieb. Es geht dennoch nicht darum, dass die Vertriebler möglichst viele Kunden besuchen. Sie sollen beim richtigen Kunden richtig vorbereitet sein, mit dem richtigen Angebot zum richtigen Zeitpunkt. Dann kann es durchaus sein, dass die Besuchsfrequenz zwar geringer ist, aber der Erfolg deutlich größer. Es ist schlicht ein Denkfehler zu sagen, dass der Außendienst auf die Straße gehört.

Wie sieht es denn im Bereich der Kundenentwicklung mit den Mythen aus?

Man muss sich vor Augen halten: „Das Gras wächst nicht schneller, bloß weil man daran zieht.“ Nehmen wir einen Kunden, der viel Umsatz macht, aber kein Wachstumspotenzial mehr hat. Wenn der Vertriebler den in die Mangel nimmt, ihn permanent besucht, wird dieser Kunde trotzdem nicht mehr Umsatz machen, weil er es schlicht nicht kann.

Was heißt das für den Verkäufer?

Dass er seine Kunden segmentieren muss, mindestens in die Kategorien A, B und C. Eines der wichtigsten Kriterien dabei ist das Potenzial des Kunden: Was kann der Kunde mit der angebotenen Dienstleistung oder dem Produkt an Umsatz machen? Entsprechend kann der Vertriebler seine Besuchsfrequenz steuern. Der Kunde mit dem größten Wachstumspotenzial sollte auch die höchste Besuchsfrequenz bekommen.

Wie sieht es denn z.B. mit unangemeldeten Kundenbesuchen aus?

„Der Vertrieb muss Kaltbesuche machen“ – diese Aussage ist in den meisten Branchen schlicht nicht mehr zeitgemäß. Das hängt unter anderem mit der Erreichbarkeit der Kunden zusammen. In großen Unternehmen kommt der Vertriebler nicht weiter als bis zum Pförtner oder der Zentrale. Zudem planen Entscheider ihren Tag und finden es nicht komisch, wenn ihre Tagesplanung durch unangemeldete Besuche zerschossen wird. Auch bringt der Vertriebler dem Kunden so wenig Wertschätzung entgegen. Die Botschaft dieser „Ich war gerade in der Gegend und schaue mal rein“-Besuche ist doch: So wichtig bist du nicht, lieber Kunde, dass ich wegen Dir einen Termin mache.

In welchen Branchen werden denn noch Kaltbesuche gemacht?

Das funktioniert bei Unternehmen, wo der Entscheider vor Ort ist bzw. bei schnelldrehenden Produkten. Ein Beispiel ist die Gastronomie, an die ein Vertreter Handtuchpapier für Restaurants und Kneipen verkauft. Da kann man in die Düsseldorfer Altstadt gehen und eine Kneipe nach der anderen besuchen. Die Frequenz ist immens, weil er seine Ansprechpartner, die Gastronomen, dort antrifft. Will man aber einen Rahmenvertrag abschließen, funktioniert das nicht ohne Termin.

Auch in der Beziehung zwischen Innen- und Außendienst kommt es häufig zu Missverständnissen – welche Beispiele haben Sie da?

Der Außendienst kann doch mal einen Fahrdienst übernehmen“ – also Ware zum Kunden mitnehmen, wenn er sowieso dorthin fährt, oder ein Angebot überbringen. Der Außendienst ist aber weder Kurierfahrer noch Postzusteller. Dazu braucht man sich nur mal vor Augen zu führen, was ein Außendienstbesuch kostet. In Branchen mit einer hohen Besuchsfrequenz kommt man auf etwa 60 Euro pro Besuch. Bei geringerer Frequenz sprechen wir über 200 bis 250 Euro. Einen Taxifahrer loszuschicken ist günstiger.

Kommen wir zu einem wichtigen Vertriebsaspekt, der Neukundengewinnung.

„Wachstum geht über Neukunden“. Aus meiner Sicht ist das ein Denkfehler. Das mag zutreffen, wenn man Fertighäuser verkauft. Doch es ist normalerweise auch der teuerste Weg. Das Prinzip sollte sein: Ausschöpfung des Bestandskundenpotenzials, Kundenrückgewinnung, Schlummerkunden aktivieren. Erst dann kommt das Gewinnen neuer Kunden.

Steht sich der Außendienst manchmal durch Denkfehler auch selbst im Weg?

Durchaus. „Ich muss beim Kunden zuerst die Bestellung für die Bestands-Produkte aufnehmen“. Die Reihenfolge muss umgekehrt sein: Zuerst die neuen Produkte, danach das Bestandssortiment. Manche Kunden fragen ja beim Besuch bereits von sich aus, was es Neues gibt. Hat der Kunde allerdings zuerst die Bestellung der Bestandsprodukte aufgegeben, sinkt die Bereitschaft, noch mehr Geld auszugeben.

Auch was Besuchsplanung und –frequenz angeht gibt es häufig Missverständnisse – welche sind das aus Ihrer Sicht?

„Standardisierte Tourenplanung“. Nach dem Motto, jede ungerade Woche besucht der Außendienst bestimmte Kunden. Das ist Unsinn und nicht mehr zeitgemäß. Die Tourenplanung sollte auf das Kundenpotenzial und die Marktsituation ausgerichtet sein.  „Alle Kunden sind gleich“ – das gilt nicht im Vertrieb. Welcher Kunde sorgt für Umsatz, Deckungsbeitrag und wer hat noch Wachstumspotenzial, das sind die entscheidenden Fragen. In dem Zusammenhang gilt auch: „Kontakt ≠ Besuch!“ Es zählt nicht nur der Kundenbesuch vor Ort. Der Kundenbesuch nach dem Messekontakt beispielsweise ist der zweitteuerste Kontakt. Es macht also durchaus Sinn, Außendienstler den halben oder ganzen Tag nur telefonieren zu lassen. Wenn jemand das beherrscht, kommen sehr gute Ergebnisse zustande, ohne dass Außendienstkosten verursacht werden.

Sie sagten ja selbst, wer das Telefonieren beherrscht – ein guter Außendienstler muss aber nicht zwangsläufig auch am Telefon gut sein.

Nein, das ist eben auch eines der Missverständnisse. Ein Außendienstler strahlt meist durch sein Auftreten Kompetenz aus. Am Telefon muss das nicht zwangsläufig so sein – das ist eine völlig andere Situation. Viele Außendienstler versagen im telefonischen Kundenkontakt. Umgekehrt gilt allerdings meist: Wer am Telefon stark ist, ist es auch im persönlichen Kontakt.

Herr Kreuter, vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

Dirk Kreuter

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