Die Wahrheit über „Lügen“ im Verkauf

Denny Neidhardt

Wenn wir im Alltag unter Zeitdruck stehen, schlecht gelaunt sind und nur wollen, dass der Tag bald vorübergeht, dann reagieren wir auf die Frage, wie es uns geht stets einheitlich und direkt: „Alles gut, danke!“. Wir lügen. Immer. Egal, ob nun zwei oder zweihundert Mal am Tag. Von der Alltagslüge, der Höflichkeitslüge, der Notlüge, der getarnten Lüge bis hin zur Schutzlüge ist alles dabei.

Die Wahrheit über „Lügen“ im Verkauf
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Die Lüge ist zu einer gesellschaftliche Norm geworden, die uns davor bewahren soll, Schwäche zu zeigen oder zuzugeben. Wir lügen nicht mit Vorsatz, sondern aus Selbstschutz.

Klar, dass dieses Thema umso sensibler wird, je mehr man auf die Konsequenzen von falschen Wahrheiten eingeht. Besonders im Verkauf leiden Verkäufer unter einem schlechten Image, weil die Kommunikation gegenüber dem Kunden nicht den Level an Klarheit, Direktheit und Ehrlichkeit besitzt, der für eine erfolgreiche Kundenbeziehung nötig wäre.

Auf Blogparaden äußern sich namhafte Verkaufstrainer zum Thema ehrliches Verkaufen dann, indem sie über „erweiterte Wahrheiten“ schreiben oder behaupten, „Was Du sagst, muss wahr sein, doch nicht alles was wahr ist, musst Du auch sagen“ und zitieren damit indirekt Voltaire.

Dass mit Voltaire einer der bedeutensten Philosophen der Auflärung zitiert wird ist kein Zufall. Ethik ist ein Teilbereich der Philosophie, der sich laut Wikipedia „mit den Voraussetzungen menschlichen Handelns und seiner Bewertung“ befasst.

Wie deuten wir also Ethik im Verkaufskontext? Wo fängt eine Lüge an? Ist es legitim, dem Kunden Wahrheiten zu verschweigen?

Der einvernehmliche Ton bei der Blogparade ist klar: Lügen, das gehört sich nicht. Lügen haben kurze Beine. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht. Und so weiter.

Das klingt ethisch und moralisch alles schön und gut, doch sollte das Thema aufgrund seiner Komplexität etwas differenzierter betrachtet werden.

Zunächst: Was versteht man unter einer Lüge?

„Eine ganz bewusste Aussage, die nicht der Wahrheit entspricht, mit der Absicht, andere Menschen zu täuschen und sie über die wahren Umstände im Unklaren zu lassen oder Tatsachen zu verschleiern um mögliche Folgen für die eigene Person zu vermeiden.“

Ich denke, wir sind uns alle einig, dass jegliche Form von Falschaussage, die mit der einzigen Absicht verbunden ist, den Kunden bereitwillig zu täuschen, nicht zu tolerieren ist.

Aussagen und Lügen in der Grauzone

Aber genauso wie es bei vorsätzlichen Falschaussagen keine zwei Meinungen gibt, so existieren auch streitbare Fälle und Aussagen in der Grauzone. Ein Beispiel:

Zusammen mit einem interessierten Pärchen besichtigt ein Immobilienmakler am Samstagvormittag ein möbliertes Einfamilienhaus. Nehmen wir an, dass der Makler am Ende der Besichtigung sagt, dass die Wohngegend sehr populär bei Kleinfamilien sei und er am Nachmittag noch drei weitere Pärchen zur Besichtigung hat, obwohl er in Wahrheit keine weiteren Termine mehr vereinbart hatte. Wie ethisch oder unethisch ist diese Aussage? Wann beginnt die vorsätzliche Täuschung des Kunden?

Die Einen würden auf den ersten Blick sagen, dass der Makler gelogen und er sich damit unethisch verhalten hat. Keine Diskussion. Der Makler die Popularität der Wohnung höher dargestellt, als sie in Wirklichkeit ist.

Die Frage lautet jetzt: Ist die Tatsache, dass es doch keine anderen Besichtigungen mehr gibt, relevant für die Entscheidung des Pärchens? Das Paar würde schließlich genau die Wohnung bekommen, die sie sich angesehen hat, ohne versteckte Mängel und genau zum angebotenen Preis.

Ich gebe zu, für mich ist das ein Fall in der Grauzone. Der Makler forciert mit seiner Aussage eine zeitnahe Entscheidung des Paares. Er deutet an, dass jemand anderes das Haus schnell kaufen könne. Das Paar sollte sich, unabhängig von dem Umstand möglicher anderer Besichtigungen die Frage stellen, ob sie das Haus wollen oder lieber weitersuchen möchten. Die Aussage des Maklers ist zwar ethisch fragwürdig, sollte aber auf Seiten des Kunden keine Relevanz bei der Kaufentscheidung haben.

Der Kunde muss heraus aus der Opfer-Position und selber Verantwortung übernehmen

Bei solchen Grenzfällen liegt der Fokus gerne auf dem Verkäufer, da dieser dann durch ethisch fragwürdiges Verhalten als Sündenbock dargestellt werden kann. Es ist einfach, es ist bequem. Es ist aber auch nur die halbe Wahrheit. Auch der Kunde muss sich aus meiner Sicht erheben und mehr Verantwortung für sein eigenes Handeln und seine Entscheidungen übernehmen.

Wie kann der Kunde das umsetzen und mögliche Tricks der Beeinflussung abwehren?

Schon der Kommunikationswissenschaftler Watzlawick wusste, dass wir Menschen „nicht nicht kommunizieren“ können. Ob verbal oder nonverbal, Kommunikation findet immer und überall statt. Und Kommunikation bedeutet auch automatisch Beeinflussung.

Um eine Entscheidung für oder gegen das Haus zu treffen, muss die angebotene Wohnung mit den Anforderungen des Pärchens abgeglichen werden, isoliert von den Aussagen des Maklers.

Auf Grundlage dieser Kriterien muss das Paar entscheiden und nicht aufgrund des Zeitdrucks.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kommunikation mit dem Kunden häufig eine Gratwanderung zwischen dem ethischen und verantwortungsvollen Verhalten des Verkäufers auf der einen und der Selbstverantwortung des Kunden auf der anderen Seite ist.

Weiterführende Infos

Ethik im Verkauf ist kein einfaches und eindimensionales Thema. Dafür gibt es zu viele Facetten und jeder von uns besitzt andere Moralvorstellungen. Wer gerne mehr über das Thema lesen möchte, der kann sich unter http://salespitch.de/ebooks/ethik-im-verkauf/ das eBook „Ethik im Verkauf ? – Moralischer Kompass eines Verkäufers“ kostenlos herunterladen.

Zur Person

Denny Neidhardt hat angewandte Medienwissenschaften studiert und lebt aktuell in London, wo er im Vertrieb für ein englisches Verlagshaus arbeitet. Auf seinem Blog „Life is a Sales Pitch“ schreibt er u.a. über die Themen (Kalt-)Akquise, Neukundengewinnung und Preisverhandlung.

Denny Neidhardt

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