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Fragen Sie oder ihre Mitarbeiter wozu und wann Agilität im Vertrieb passend und notwendig ist? Glauben Sie oder ihre Teams auch, keine Zeit für Innovation zu haben, weil das Tagesgeschäft und der Umsatz von heute erst mal das Wichtigste ist?
Diese Fragen und Gedanken sind wichtig und richtig. Der Vertrieb ist sozusagen der Puls jeder Organisation. Er versorgt mit seinem Umsatz das Unternehmen, zahlt die Gehälter und füllt die Kassen für die laufenden Ausgaben. Die Existenzsicherung jeder Organisation steht immer im Vordergrund und hat Vorrang vor neue Ideen und Experimenten. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum der Vertrieb bezüglich agiler Denk- und Handlungsweisen ein Nachzügler ist. Sales und Service sind konditioniert auf den aktuellen Umsatz und den heutigen Kundenbedarf.
Gleichzeitig ist jedem Vertriebler klar: Das, was heute die Wertschöpfung darstellt und Geld in die Kasse spült, kann morgen schon überholt sein. Überholt von neuen Technologien, besseren Wettbewerbern, neuen wirtschaftlichen Konditionen oder einfach von der Sättigung des Marktes. Wenn Sie als Unternehmen und auch im Vertrieb nicht heute schon zukünftige Wertschöpfung gestalten und neue Strömungen erspüren, dann gefährden Sie ihre Existenz in der Zukunft.
Das 3 Horizonte Modell von Mc Kinsey
Um die Zusammenhänge zu verdeutlichen und auch emotionale Betroffenheit zu schaffen, nutze ich gerne das 3 Horizonte Modell von McKinsey in etwas abgewandelter Form. In unseren Ausbildungen erzählen wir zu Horizont 2 und 3 immer jede Menge Geschichten und konfrontieren die Menschen liebevoll und doch schonungslos mit den Gefühlen und Widerständen. Denn bekanntlich bewegen Menschen sich nicht raus aus ihrer Komfortzone durch logische oder rationale Einsichten, sondern nur durch echte Betroffenheit und dem Gefühl der Dringlichkeit.
Abb: Das 3 Horizonte Framework frei nach McKinsey
1. Horizont: Sichere und stärke die Wertschöpfung und damit den Umsatz von heute
Horizont 1 entspricht ihrem laufenden Umsatz und beinhaltet alle Produkte und Dienstleistungen, mit denen Sie hier und heute Umsatz machen. Alle Tätigkeiten, die ihre Wertschöpfung ausmachen, gilt es stabil zu halten. Das wird nicht so bleiben, auch wenn Menschen das gerne verleugnen oder ignorieren; denn alle Angebote haben eine Halbwertszeit.
Trotzdem ist ihr laufendes Geschäft ungeeignet, um mit agilen Methoden aus komplexen Kontexten zu punkten. Sie würden ja auch keine aufwändige Kurvenberechnung nutzen, um eine einfache Buchhaltung zu bewältigen. In diesem Horizont eignen sich vor allem Lean-Ansätze und -Prinzipien, die auf den kontinuierlichen Verbesserungsprozess einzahlen. Erst wenn neue Ideen und Prototypen aus Horizont 2 und 3 getestet und validiert sind, können Sie ihren heutigen Umsatz aus Horizont 1 ablösen und verändern.
Alles, was in diesem Horizont optimiert wird, zahlt sich im laufenden Geschäft aus. Es erfolgt ein unmittelbarer Return on Investment. Das ist vorausschaubar und transparent. Horizont 1 ist das Grundgerüst und stellt die stabilen, tragenden Wände Ihrer Firma dar.
Optimierungsfragen aus Horizont 1:
- Wie können wir unser Produkt für den Kunden verbessern?
- Welche Bedürfnisse hat der Kunde bezogen auf Service rund um unsere Angebote?
- Welchen Zusatznutzen kann unser Angebot bieten?
- Wie gelingen uns eine Vernetzung und ein Cross Selling aller bestehenden Produkte?
- Welche technologischen Erneuerungen sind umsetzbar?
- Wie können wir den Vertrieb digitalisieren, um neue Kunden zu gewinnen und alternative Absatzkanäle aufzubauen?
- Wie können wir die Kunden binden?
- Wie vernetzen und kollaborieren wir mehr mit anderen Bereichen des Unternehmens? Wie schaffen wir direkten Austausch, verzahnte Planung und Umsetzung mit der Produktion und dem Marketing?
2. Horizont: Innoviere und verändere deine Produkte und Dienstleistungen und sorge für den Umsatz von morgen
Horizont 2 steht für alle Innovationen, die sich aus der aktuellen Wertschöpfung ergeben. Hier werden neuen Angebote auf Basis ihres heutigen Portfolios heraus entwickelt, die anschließend in Horizont 1, also in das laufende Geschäft, überführt werden. Die Innovationen können das bestehende Geschäft erweitern oder ersetzen. Sie versetzen in ihrem Unternehmen sozusagen einige Wände, sorgen für moderne offene Bereiche und bauen um und aus für die Zukunft. Horizont 2 stellt alle Weiterentwicklungen, Zusatzservices, Cross- und Upsellings dar.
Jeder Vertrieb braucht Engagement und Ressourcen, um Horizont 2 kontinuierlich auszubauen und Innovationen konsequent zu verfolgen. Gute Methoden für Innovationen im Vertrieb sind Customer Journey Mappings oder Analoge Welten aus dem Design Thinking. Doch ohne Investitionen werden Sie hier nicht weiterkommen.
Schaffen Sie Freiräume für Innovationen und fragen sie die Menschen, die direkt mit den Kunden arbeiten nach Ideen zur Verbesserung. In Service und Verkauf eignen sich interdisziplinäre Teams, die sich an innovativen Projekten mit anderen Bereichen beteiligen und fernab der täglichen Routinen sowohl sich selbst als auch ihre Angebote weiterentwickeln.
Gestalten Sie Innovationskreise aus Innen- und Außendienst, Einkauf, Entwicklung und Produktion. Denken Sie vernetzt und mit unterschiedlichen Perspektiven über Ihre Kunden und deren Anforderungen nach. Interviewen Sie Ihre Kunden und lassen Sie sich von anderen Organisationen inspirieren.
Fragen zur Innovation im Horizont 2
- Wie können wir vorhandene Stärken erweitern?
- Welche neuen Produkte und Dienstleistungen bieten wir an?
- Wie kann der weitere Bedarf des Kunden entlang der Kundenreise gedeckt werden?
- Welche seiner „Schmerzen“ können behoben, welche Gewinne verstärkt werden?
- Welche neuen Märkte können wir erschließen?
- Wie schaffen wir crossfunktionale Innovationsteams, um alle Innovationen vernetzt zu entwickeln?
3. Horizont: Exploriere deine Geschäftsfelder
Horizont 3 braucht agile Methoden und Arbeitsweisen. Hier geht es um völlig neue Märkte und Produkte und um disruptive Veränderungen. Mit Design Thinking und Innovations-Labs erkunden wir hier Optionen für die Zukunft. Auf der grünen Wiese wird ohne Einschränkung neu gedacht. Der Return on Investment ist dabei unklar und darf in der Exploration kein Entscheidungskriterium sein.
Wie jede Kreativtechnik lebt auch Horizont 3 von Freigeistern, die fernab des Tagesgeschäfts „out oft he box“ denken und gestalten dürfen. Je mehr Ideen und Prototypen entstehen, desto besser. Diese werden anschließend validiert und aus Kundensicht getestet, um die besten Innovationen zu sondieren und auszurollen.
Agile Methoden und Arbeitsweisen sind ideal für Horizont 3. Arbeiten sie genau dazu mit agilen, crossfunktionalen und selbstorganisierten Teams, denen Sie den entsprechenden Schutzraum zur Verfügung stellen. Die Kunst besteht darin, diese agilen Teams frei agieren zu lassen und sie vor den Kritikern und Bewahrern zu schützen und gleichzeitig für eine gute Vernetzung mit den anderen zu sorgen.
Die besten Erfahrungen habe ich in Vertriebsorganisationen mit agilen Teams gemacht, die sich wöchentlich für mehrere Stunden an einem kreativen Ort treffen und innerhalb ihrer Arbeitszeit aus Kundensicht Ideen entwickeln und Prototypen bauen. Holen Sie sich dazu kreative Innovatoren aus anderen Unternehmen, Universitäten oder Design Thinking Schulen hinzu.
Fragen zur Exploration im Horizont 3
- Was wollen Kunden in der Zukunft?
- Wie könnte der Vertrieb in zehn oder 20 Jahren aussehen?
- Was können wir von anderen Erfolgsriesen lernen und auf unser Spielfeld übertragen?
- Worauf ist noch keiner in unserer Branche jemals gekommen?
- Was sind innovative Vorreiter und wie können wir deren Innovationsrezepte kombinieren und für uns umwandeln?
Literatur: Baghai, M./Coley, S./White, D. (2000): The Alchemy of Growth, Cambridge, Perseus; C. Thonet: Der agile Vertrieb (2020), Springer Gabler
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