Belastung und Stress im Vertriebsalltag – und wie man damit umgeht

Der Druck auf den Vertrieb wächst. Vertriebsmitarbeitende und ihre Führungskräfte stehen im ständigen Spagat zwischen steigenden Erwartungen und schwindenden Ressourcen. Was tun, wenn Zielvorgaben härter, Kunden fordernder und interne Mittel knapper werden? Anne-Rose Raisch vom Raisch Institut zeigt praxisnah, wie Führung heute gelingen kann – mit Klarheit, Menschlichkeit und gezielter Entlastung.

Nur wer gesund und motiviert zum Kunden geht, verkauft mit Herz, Energie und Überzeugungskraft. Wer überfordert oder einem Burnout nahe ist, kann kein Vertrauen wecken.
Nur wer gesund und motiviert zum Kunden geht, verkauft mit Herz, Energie und Überzeugungskraft. Wer überfordert oder einem Burnout nahe ist, kann kein Vertrauen wecken. © Jadon B/peopleimages.com/stock.adobe.com

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Mut zur Menschlichkeit im Vertrieb

Es liegt in der Natur der Sache: Wer im Vertrieb arbeitet, steht in einem permanenten Spannungsverhältnis. Zielvorgaben wollen umgesetzt, Kundenerwartungen befriedigt werden – und das bei üblicherweise limitierten internen Ressourcen. Wenn dann noch viele Unternehmen den Gürtel enger schnallen und Investitionen zurückstellen, wie das derzeit der Fall ist, erschwert das die tägliche Arbeit zusätzlich. Der Job wird noch frustrierender.

Wie Verantwortliche konstruktiv mit der Herausforderung umgehen und welche Maßnahmen hilfreich sein können, darüber informiert Anne-Rose Raisch, Geschäftsführerin des Raisch Instituts für Personal- und Organisationsentwicklung.

Zumal Vertriebler die ersten sind, die mit der Unsicherheit und Unzufriedenheit ihrer Kunden konfrontiert sind – und zugleich die letzten, die „Nein“ sagen dürfen. All das setzt sie unter Druck und nagt am Gemütszustand.

Störfaktoren im typischen vertrieblichen Umfeld

  • Dauererreichbarkeit. Die meisten Vertriebler haben es sich zur Gewohnheit gemacht, praktisch ständig erreichbar zu sein, um buchstäblich immer für ihre Kunden da zu sein und kein Geschäft zu verpassen. Echte Erholungsphasen ganz ohne Arbeit, die man für eine entspannte Grundstimmung braucht, kommen zu kurz.
  • Unsichere Planung. Immer wieder auftretende Lieferengpässe und gerade in schwierigen Zeiten unverbindliche Kommunikation auf Seiten der Kunden erschweren eine verlässliche Vertriebsarbeit. Mitunter gleicht sie eher einem Blick in die Glaskugel. Auch das ist ein Stressfaktor.
  • Wachsender Wettbewerbs- und Preisdruck. Je weniger Aufträge, desto härter die Bandagen, mit denen der Kampf darum geführt wird.
  • Fehlendes Feedback, fehlende emotionale Entlastung. Hier liegt eine wesentliche Aufgabe für Führungskräfte im Vertrieb. Sie sind gefordert, ein Gegengewicht zur multiplen Belastung ihrer Mitarbeitenden zu schaffen. Das erfordert regelmäßiges wertschätzendes Feedback und emotionale Entlastung – und einen Führungsstil, der dieser Aufgabe gerecht wird. Das zu leisten, gelingt allerdings mancher Führungskraft nur unzureichend. Zum einen aufgrund eigener Belastungen, zum anderen, weil es oft am richtigen „Handwerkszeug“ mangelt.

All diese psychischen Lasten summieren sich und machen in letzter Konsequenz krank.

Burnout als Alarmsignal für jedes Unternehmen

Dass der Vertrieb „nur“ die Spitze eines wachsenden Eisbergs aus Stress, Belastung und sonstigen Burnout-Faktoren am Arbeitsplatz ist, zeigen die Zahlen. So meldeten die Unternehmen in Deutschland im Jahr 2024 laut DAK durchschnittlich 19,7 krankheitsbedingte Fehltage pro Mitarbeiter. Und die AOK nennt psychische Erkrankungen als dritthäufigste Ursache für Ausfälle wegen angeschlagener Gesundheit.

Tendenz steigend. Kurz: Das Thema Krankheitstage hat sich längst zu einem allgemeinen Phänomen ausgewachsen.

Ein Alarmsignal für jedes Unternehmen. Wer es ignoriert, nimmt die dadurch entstehenden Kosten und die Demotivation der Belegschaft billigend in Kauf. Nicht zu vergessen den Verlust an Arbeitskräften, deren Wissen und Kompetenzen; wobei hier erschwerend hinzukommt, dass gerade die Leistungsträger am ehesten abwandern.

Immerhin entsprechen knapp 20 Fehltage vier ganzen Arbeitswochen, in denen die jeweilige Person fehlt und die Belastung für die Kolleginnen und Kollegen steigt, die die Fehlzeiten auffangen müssen.

Und wenn der Vertrieb ausfällt, bleibt nicht nur das aktuelle Geschäft auf der Strecke, auch das Vertrauen des Kunden in die Zuverlässigkeit seines Lieferanten leidet – und das torpediert jede langfristig angelegte Geschäftsbeziehung. Für Führungskräfte und die Verantwortlichen im Vertrieb und im Personalbereich heißt das: Es ist Zeit zu handeln – nicht morgen, nicht übermorgen, sondern jetzt.

Ursachen der Belastung in den Blick nehmen

Dabei besteht eine der größten Versuchungen darin, lediglich die Symptome zu behandeln und dabei die Arbeit an den Ursachen zu vernachlässigen. Jedenfalls soweit diese Ursachen im Bereich des Steuerbaren liegen.

Stressbewältigung muss – wie eine medizinische Therapie – diagnosebasiert erfolgen. Das heißt, es gilt jene Faktoren zu identifizieren, die Stress verursachen, und sie zu entschärfen, ehe sie krank machen.

Das hat in der Regel einen doppelten Effekt: Es mindert das von außen einwirkende Stresslevel, und es stärkt zugleich die Fähigkeit der betroffenen Person, konstruktiv mit Stressfaktoren umzugehen, ihre Resilienz. Denn wer sich diese Faktoren und ihre Wirkung auf das eigene Nervenkostüm bewusst macht, wird automatisch resilienter.

Um die Arbeit an gesunden Arbeitsbedingungen nachhaltig zu gestalten, ist es erforderlich, eine tragfähige Strategie zu entwickeln. Sie muss die Verringerung der äußeren Stressfaktoren ebenso im Blick haben wie den adäquaten, also nicht krankmachenden Umgang der einzelnen Mitarbeitenden damit.

Stressfaktoren im Arbeitsalltag identifizieren

Zu den ersten Schritten gehört die Analyse des Arbeitsumfeldes im Hinblick auf potenziell gesundheitsgefährdende Merkmale.

Zu den Stressfaktoren gehören

  • permanenter Leistungsdruck,
  • übermäßige Kontrolle,
  • ein von Angst und Schuldzuweisungen geprägtes Klima,
  • fehlende Anerkennung,
  • eine mangelhafte Feedback-Kultur sowie
  • intransparente Prozesse und Entscheidungen.

Menschen, die solchen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind, fühlen sich nicht als Menschen angenommen, mit all ihren Stärken und Schwächen, sondern eher als austauschbare Funktionsträger. Keine gute Voraussetzung, sich am Arbeitsplatz wohlzufühlen.

Tauscht man hingegen diese destruktiv wirkenden Faktoren gegen konstruktive aus, wird aus dem krankmachenden ein gesundes Arbeitsumfeld.

In einem gesunden Arbeitsumfeld herrschen

  • Klarheit,
  • Wertschätzung,
  • Lösungsorientierung und
  • Die Mitarbeitenden haben einen relativ großen, definierten Gestaltungsspielraum.
  • Faires Feedback,
  • Teamgeist und
  • Konstruktive Lern- statt destruktive Fehlerkultur bestimmen die Atmosphäre.

Die Führungskraft als Schlüssel für ein gesundes Arbeitsumfeld

Soweit, so theoretisch. Dass bei der praktischen Umsetzung den Führungskräften eine Schlüsselfunktion zukommt, liegt auf der Hand.

Sie können Stressmultiplikatoren sein – oder gezielt die arbeitstechnischen und psychischen Ressourcen ihrer Mitarbeitenden stärken. Sie können durch menschlich-souveräne Führung so auf ihre Leute einwirken, dass Teamgeist herrscht statt Ellbogenmentalität, dass Hilfsbereitschaft und Offenheit statt Konkurrenzdenken und Heimlichtuerei das Klima prägen.

Moderne, wertschätzende Führung braucht Mut zur Menschlichkeit, ohne dabei die Anforderungen des Jobs zu vernachlässigen.

„Spielregeln“ für das Miteinander vereinbaren

Bekanntlich ist Verhalten ansteckend, im Negativen wie im Positiven, und kann gesteuert werden, um Konflikte zu vermeiden. So lassen sich Konflikte oder destruktive Verhaltensweisen vermeiden oder deutlich reduzieren, wenn die Teams destruktives Verhalten reduzieren, indem sie gemeinsame Regeln festlegen, wie etwa den offenen Dialog bei Problemen.

Erfahrungsgemäß helfen schon relativ kurze Trainings, um Führungskräften und Teams Werkzeuge an die Hand zu geben, um konstruktiv und wertschätzend zusammenzuarbeiten.

Stressfaktoren Überbelastung und Unterforderung

Überbelastung am Arbeitsplatz gilt oft als wesentlicher Stressfaktor. Allerdings: Wer dauerhaft unterfordert ist, wird demotiviert und schließlich genauso krank wie der, der sich für seinen Job aufreibt. Beides lässt sich durch einen bewussten Umgang mit der Arbeitsbelastung in vernünftige Bahnen lenken.

1 Führungskraft und Mitarbeitende müssen hinschauen

Das erfordert zum einen, dass Führungskräfte darauf achten, dass ihre Mitarbeitenden weder dauerhaft überbelastet noch unterfordert sind, überlastet noch unterfordert sind. Das gehört zu ihren Aufgaben.

Zum anderen müssen die Menschen lernen, in sich hineinzuhören und sich Fragen zu beantworten wie: Mache ich meinen Job gerne, erfüllt mich meine Aufgabe, kann und will ich sie, so wie sie ist, dauerhaft ausfüllen?

Menschen sollten reflektieren, ob sie ihren Job gerne machen und sich erfüllt fühlen. Bei negativer Antwort sollte man mit dem Vorgesetzten sprechen und Veränderungsoptionen prüfen. Lässt sich keine Lösung finden, sollte ein Jobwechsel ernsthaft in Betracht gezogen werden – idealerweise mit Unterstützung der Führungskraft

2 Veränderungswille ist nicht verhandelbar

Der Wille zur Veränderung im Job ist übrigens etwas, das heute als durchaus normal und legitim gelten sollte. War es noch vor wenigen Jahrzehnten üblich, den erlernten Beruf ein Leben lang auszuüben – nicht selten sogar beim selben Unternehmen –, passt das heute nicht mehr in unsere Welt schneller Veränderungen. Wenn Unternehmen flexibel und agil sein müssen, dann geht das nur, wenn ihre Mitarbeitenden das auch sind.

3 Aktionismus erkennen und beschränken

Ein Phänomen, das Aufmerksamkeit erfordert, ist der Aktionismus im Top-Management. Oft initiiert das Führungsteam Aufgaben, ohne deren Machbarkeit zu überprüfen. Teams müssen viele Aktivitäten in kurzer Zeit mit begrenzten Ressourcen bewältigen, verstärkt durch Erfolgsdruck und unrealistische KPIs.

Dies kann zu „korrosiver Energie“ führen: Die Schaffenskraft der Mitarbeiter leidet unter aktionistischem Aktionismus, was zu oberflächlichen und mittelmäßigen Ergebnissen führt.

Führungskräfte sollten weniger, aber durchdachte und realistisch geplante Aktivitäten initiieren, um bessere Ergebnisse und Motivation zu erzielen und Frust am Arbeitsplatz zu verhindern.

Hinzu kommt: Gerade das Top Management, das mangels direkten Kontaktes zur sonstigen Belegschaft schnell als abgehoben gilt, sollte darauf achten, dass seine Entscheidungen transparent, praxisnah und nachvollziehbar sind – und dass sie als sinnvoll wahrgenommen werden.

3 Der entscheidende Punkt: Stressfaktoren erkennen

Klar ist: Um erfolgreich zu sein, muss ein Unternehmen gesundheitsbewusstes Arbeiten und Stressprävention fördern. Gesunde und motivierte Mitarbeiter bieten einen Wettbewerbsvorteil, sowohl im Kundenkontakt als auch als Arbeitgeber. Ein positives Arbeitsklima stärkt das Unternehmen.

Wie gestaltet man ein gesundes Arbeitsumfeld?

Zunächst gilt es, die Ursachen in den Blick zu nehmen. Das geht allerdings nur mit Analysten und Coaches von außerhalb, die nicht „betriebsblind“ sind. Erfahrene Coaches sind heute geschult darin, Stressmuster zu analysieren und die individuelle Stressbewältigungs-Kompetenz von Menschen zu stärken.

In der Regel setzen die Coaches dafür auf speziell entwickelte Tools. Damit unterstützen sie Führungskräfte und Mitarbeitende dabei, persönliche und allgemeine Stressfaktoren zu identifizieren und gezielte Maßnahmen für mehr Gelassenheit und Leistungsfähigkeit zu entwickeln.

Ein wesentlicher Punkt: Sie machen Belastungen objektiv messbar. Unter anderem zeigen sie,

  • ob Teams eher über- oder unterfordert sind.
  • welche Teammitglieder Unterstützung brauchen und welche möglicherweise neue Herausforderungen benötigen.
  • wo es ungesunde Teamdynamiken und/oder hohe psychische Belastungen gibt.
  • wo sich Konfliktpotenziale aufbauen.
  • in welchen Teams potenziell gefährliche Stressmuster vorherrschen.

Richtig analysiert lassen sich so Risikofaktoren für Burnout und psychische Erkrankungen frühzeitig erkennen und entschärfen. Damit wirkt man nicht zuletzt langfristigen Ausfällen entgegen. Denn gerade psychische Erkrankungen dauern laut AOK im Schnitt 29,6 Tage. Das ist mehr als doppelt so lang wie die Ausfallzeit bei anderen Erkrankungen – diese liegt bei durchschnittlich 11,3 Tagen.

Die Transformation erzwingt eine neue Unternehmenskultur

Ein gesundes Arbeitsumfeld ist Teil der aktuellen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Nicht nur die Digitalisierung, der Fortschritt der künstlichen Intelligenz, das Internet und der globale Wettbewerb, sondern auch die immer kürzer werdenden Innovationszyklen und die sich verändernden Mechanismen der industriellen Welt erfordern eine neue, agile Unternehmenskultur.

Auch die Kunden erwarten, dass Unternehmen ihren Wünschen gerecht werden. Gleichzeitig möchten die Mitarbeitenden in diesen oft disruptiven Zeiten das Gefühl haben, dass sie etwas bewirken können und als Menschen wertgeschätzt werden.

Konkret heißt das unter anderem: Führungskräfte müssen lernen, auf Zwischentöne und frühe Anzeichen zu achten. Mitarbeitende beispielsweise, die sich zurückziehen oder zynisch werden, deren Leistung nachlässt oder die sich zunehmend widerwillig zeigen, signalisieren damit eine wachsende Unzufriedenheit. Eine Führungskraft muss das ansprechen und in konstruktive Bahnen lenken.

Trainings und Coachings unterstützen sie dabei. Hilfreich sind auch Workshops für Führungskräfte und Teamleiter, in denen sie lernen, solche Anzeichen früh zu erkennen und  adäquat damit umzugehen.

Fazit der Expertin

Im Arbeitsumfeld, und erst recht in einer „Sales Driven Company“ ist Gesundheit nicht „nice to have“ – es ist die Voraussetzung für erfolgreiches Arbeiten. Das gilt ganz besonders für Vertriebsorganisationen. Denn wer gesund und motiviert zum Kunden geht, verkauft mit Herz, Energie und Überzeugungskraft. Und wer überfordert oder einem Burnout nahe ist, kann kein Vertrauen wecken.

Im Übrigen: In Zeiten, in denen Krisen und Kriege, wachsender Druck und der Schlingerkurs der Weltwirtschaft die Schlagzeilen beherrschen, brauchen wir auch ein Gegengewicht: positive Perspektiven, lösungsorientiertes Denken und Mut zur Zuversicht.

 

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Anne-Rose Raisch

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