Das neue Selling: Synchronisation der Marktbearbeitung als Vertriebsstrategie

Das Ausmaß der aktuellen Krise ist beispiellos, zumindest im Europa der letzten hundert Jahre. Aber sie beschleunigt gleichzeitig Entwicklungen, denen sich Unternehmen auch vorher schon stellen mussten. Der Wandel und seine Geschwindigkeit werden zur neuen Normalität. Das Tempo des Fortschritts zwingt dazu, Techniken und Fähigkeiten in immer kürzeren Abständen neu zu justieren.

Um Kunden auf ihrer Customer Journey lückenlos zu begleiten, werden beim New Selling neben Vertrieb auch Inside Sales und Service orchestriert
Um Kunden auf ihrer Customer Journey lückenlos zu begleiten, müssen viele Funktionsbereiche orchestriert werden© stokkete/stock.adobe.com

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Eine wichtige Erkenntnis der aktuellen Mercuri International Studie aus dem August zum Thema Vertriebsstrategie 2020 (Link: Studienergebnisse) zeigt jedoch, dass nur 20% der befragten Unternehmen bereits mit ihrer Vertriebs-Strategie adäquat aufgestellt sind!

Die übrigen Teilnehmer wollen ihren Vertrieb komplett oder zumindest teilweise neu ausrichten. Wichtiges wird nun dringend. Ein „weiter so wie bisher“ kann und wird es nicht geben, will man wettbewerbsfähig bleiben.

Der kompakte Überblick zur Studie „Vertriebsstrategie 2020“

  • Erwartete Marktveränderungen für die nächsten Jahre: Polarisierung bei den Erwartungen: 35% prognostizieren eine Verschlechterung des Marktes, ebenso viele aber auch eine Verbesserung, für 30% bleibt der Markt gleich. 46% gehen von stärkerem Druck auf die eigenen Preise aus.
  • Optimierung der eigenen Marktstrategie: Für jeweils deutlich mehr als 90% ist das Überprüfen/Anpassen der eigenen Zielmärkte und Kunden, der Positionierung, des Geschäftsmodells und Angebotsportfolios wichtig bis sehr wichtig. Ebenso bedeutend ist es, die Wettbewerber zu analysieren und ggfs. Anpassungen bei der eigenen Strategie vorzunehmen.
  • Bewerten der aktuellen Vertriebsstrategie: 80% Unternehmen glauben, dass ihre Vertriebsstrategie teilweise, bzw. komplett überarbeitet werden muss.
  • Optimieren einzelner Elemente der Vertriebsstrategie: Das Überprüfen und Anpassen der Kompetenzprofile von Führungskräften und der in die Marktbearbeitung involvierten Mitarbeiter sowie die Neuausrichtung der Trainings sind für mehr als 96% wichtig/sehr wichtig.
  • Wichtige Detailaspekte zur Vertriebsstrategie: Der Ausbau zentraler Maßnahmen zur Leadgenerierung und mehr virtuelle Kundenkontakte durch den Außendienst sind für mehr als 90% wichtige Hebel, um die eigenen Märkte zukünftig effizienter zu bearbeiten.
  • Fazit: Die befragten Manager sehen große Potentiale, um den eigenen Vertrieb produktiver und effizienter auszurichten.

Das alte Vertriebsmodell ist in die Jahre gekommen

In normalen Zeiten kontinuierlichen Wachstums verlangsamen Unternehmen typischerweise den erforderlichen Wandel im Vertrieb. Die Bereitschaft, gerade bei Außendienst-Mitarbeitern, etwas zu verändern, ist eher gering ausgeprägt.

Schon länger zeigen die Optionen der Digitalisierung aber, dass das alte beziehungsorientierte Vertriebsmodell in Zukunft nicht mehr funktionieren wird: Der Außendienst baut über einen längeren Zeitraum eine enge Beziehung zu seinen Kunden bzw. Ansprechpartnern auf und hofft anschließend auf entsprechende Loyalität.

Auch wenn die Kontaktqualität zu den jeweiligen Ansprechpartnern immer eine bedeutende Rolle spielen wird, ist dieser Ansatz in die Jahre gekommen. Technologische Entwicklungen wie Künstliche Intelligenz und das neue, andere Kaufverhalten verändern Abläufe und damit die Anforderungen an moderne Arbeitskräfte.

Doch wie läuft es in der Praxis?

Tatsächlich wickelt der klassische Vertrieb weiterhin die Aufgaben ab, die traditionell für ihn reserviert waren, zwischenzeitlich aber viel effektiver durch andere Bereiche oder digital abgewickelt werden können bzw. müssen.

Als Beispiel sei der Verkauf nicht-erklärungsbedürftiger Produkte und Commodities genannt, bei denen der Kunde letztlich „nur noch“ einen Bestellvorgang auslösen muss, da er alle anderen für den Kauf erforderlichen Informationen vorliegen hat.

  • Soll der Außendienst hier wertvolle Besuchszeit investieren?
  • Können kleinere Kunden nicht viel wirtschaftlicher telefonisch oder virtuell besucht werden?
  • Was ist richtig und führt zu den gewünschten Ergebnissen?
  • Wer soll welche Aufgabe übernehmen
  • Wie wird das abteilungsübergeordnete Zusammenspiel koordiniert?
  • Und schließlich: wie gelingt es, die Menschen zu begeistern und auf der neuen Reise mit zu nehmen? 

Synchronisation der Marktbearbeitung ist das neue Selling

Die Kundenhoheit sollte sich vom Vertrieb auf zusätzliche Funktionsbereiche, wie z. B. Inside Sales, Sales Back Office/Innendienst und Service erweitern, hier liegen viele Potenziale brach, um produktiver und effizienter den Markt zu bearbeiten.

Potenzielle Kunden entlang der gesamten Customer Journey mit positiven Erfahrungen kontinuierlich zu begeistern, verlangt, dass alle in die Marktbearbeitung involvierte Abteilungen gemeinsam an einem Strang ziehen und das klassische Silodenken in den Unternehmen aufgelöst wird (Von der Buying- zur Selling Journey).

Also etwa so, wie in einem Orchester die Musiker aufeinander abgestimmt musizieren. Es bringt nichts, wenn sich nur der Verkäufer freundlich kümmert. Das ist eine neue Herausforderung! Vergleichbar mit dem Dirigieren eines Orchesters. Es macht keinen Sinn, wenn das einzelne Mitglied, unabhängig von den anderen, sein Instrument herausragend beherrscht und spielt. Es muss – mit Hilfe des Dirigenten – abgestimmt und nach Vorgaben erfolgen. Nur so lässt sich das kritische Publikum überzeugen.

Allerdings sind die Mitglieder des Ensembles grundverschieden. Man sagt: „Sag mir, was du spielst und ich sag‘ dir, wer du bist!“ Blechbläser sollen trinkfreudige Draufgänger sein, Streicher ehrgeizige Diven und Holzbläser schüchterne Einzelgänger.

Übertragen auf die Marktbearbeitung heißt das: Zukünftig muss man auch hier unterschiedliche Akteure und Charaktere dazu bringen, gemeinsam und harmonisch ein „Konzert für die Kunden und Interessenten“ zu geben. Jedoch ist der Außendienst eher extravertiert, wohingegen es bei den Mitarbeitern im Innendienst und Servicetechniker meistens darum geht, Abläufe zu managen und technische Herausforderungen bei Kunden zu lösen!

Die Customer Journey bildet den Ausgangspunkt für eine kundenzentrierte Organisation. Die interne Koordination und das Managen der Schnittstellen aller involvierten Bereiche sind die größte Herausforderung und zugleich Schlüssel für die erfolgreiche kundenzentrierte Marktbearbeitung.

Ziel dieser engeren Verzahnung bzw. Synchronisierung ist es, Kunden und Interessenten zum Kauf zu führen. Die genannten Anforderungen sind allerdings schneller formuliert als umgesetzt! Erste Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass Märkte und Kommunikationsgeschwindigkeit sich schneller verändern, als sich Organisationen anpassen können.

Folglich spielen die Kompetenzen der Führungskräfte sowie der Mitarbeiter und deren Weiterentwicklung eine entscheidende Rolle für eine erfolgreiche Zukunft. Weiterhin wird es für den Erfolg essenziell sein, die Buying Journey in den Mittelpunkt der eigenen Vertriebsstrategie zu stellen. Sie bildet den Ausgangspunkt, um Vertriebsprozesse, Rolle des Marketings, Organisation, Steuerung, Vertriebskanäle neu zu justieren bzw. komplett zu überarbeiten.

In 7 Schritten zum New Selling

1. Festlegen der Buying-Journey

Die veränderte Buying-Journey ist der Ausgangspunkt, um die Marktbearbeitung kundenzentriert auszurichten. Dabei ist es ratsam, die Erfahrungen aller involvierten Abteilungen, wie z.B. Marketing, Innendienst, Vertrieb, Service, Spezialisten zu nutzen, um zu analysieren, definieren und dokumentieren, wie die Kunden zukünftig tatsächlich einkaufen werden. Diese Überlegungen sollten ggfs. getrennt nach Regionen bzw. Ländern und einstufigem bzw. mehrstufigem Vertrieb erfolgen, denn hier gibt es erfahrungsgemäß signifikante Unterschiede.

2. Definition der Verkaufsprozesse und Vertriebskanäle

Verkaufsprozesse orientieren sich an der jeweiligen Buying Journey. Sie beschreiben die Arbeitsschritte der Verkaufsarbeit, mit denen wir die Einkaufsreise der Kunden beeinflussen wollen und welche Aktivitäten, Qualifikationen und Instrumente nötig sind. Anschließend entscheiden wir über die Auswahl der Vertriebskanäle, mit denen sich die Prozesse optimal umsetzen lassen. Hier liegt eine Menge Arbeit, denn Aufgaben werden neu zu verteilen sein!

3. Anpassen der Organisations- und Vertriebsstruktur

In diesem Meilenstein werden die Rollen zwischen Marketing, Vertrieb, Innendienst, Service und Spezialisten/Anwendungsberatung verteilt, die jeweils erforderlichen Vertriebskapazitäten berechnet und der Ressourceneinsatz festlegt werden. Dabei sollten speziell die Optionen des hybriden Vertriebs, der Einsatz virtueller Kontakte und moderner digitaler Kommunikationstechniken zur Erhöhung der aktiven Verkaufszeit berücksichtigt werden.

4. Justieren der Steuerungsinstrumente im Vertrieb

Alle in die Marktbearbeitung involvierten Mitarbeiter müssen ihre Energien und Kapazitäten in die gewünschte Richtung lenken. Das verlangt, die Steuerung zwischen den einzelnen Akteuren zu synchronisieren. Dazu werden Zielsetzung, Planungs- und Berichtswesen, CRM, variable Entlohnung, Incentives, Beurteilungssysteme aufgesetzt und strategiekonform ausgerichtet.

5.  Empfehlung: Zentrale Initiativen für die Leadgenerierung

Kunden haben im Internet durch Business-Netzwerke wie LinkedIn und Xing, Blogs, White Paper, Produkt-Videos und Vergleichsportale Zugang zu mehr Informationen, Bewertungen, zu mehr Austauschmöglichkeiten unter Kollegen und externen „Beeinflussern“ als jemals zuvor.

Hierbei kommt es auf die „Unabhängigkeit“ der Quellen von Informationen, Einschätzungen und Bewertungen als enormer Vorteil gegenüber einem Austausch mit einem Vertriebsmitarbeiter an.

Daher sollten Unternehmen hier zentral aktiv werden, ihre Internetpräsenz ausbauen, zentrale Social-Media-Aktivitäten entwickeln und auf den relevanten virtuellen Marktplätzen präsent sein. Oft können nur so die ersten, aber entscheidenden Phasen der Buying Journey abgedeckt werden.

Der klassische Vertrieb kann das über die bislang üblichen direkten Kundenkontakte meistens nicht mehr leisten. Hier müssen andere Abteilungen aktiv in die Vertriebs-Strategie integriert werden, um nachhaltig Leads zu generieren. Online-Marketing, SEO, SEA, etc. sind ebenfalls „unterstützende Maßnahmen.“

6.  Entwickeln von Kommunikations- und Gesprächsstrategien im Kundenkontakt

Vertriebsmitarbeiter müssen sich vom Produkt- zum Mehrwertverkäufer entwickeln, soziale Medien, sowie virtuelle Formate für das Remote Selling nutzen können. Gleichzeitig müssen ihre Kollegen im Innendienst und Servicetechniker die Chance ergreifen, selbst stärker zu verkaufen. Spezialisten wie z.B. Anwendungstechniker müssen lernen, sich in Sales Teams zu integrieren.

Dieser Erfolgsfaktor beschreibt das Niveau der notwendigen verkäuferischen Kompetenzen und stellt sicher, dass auch die entsprechenden Trainingskonzepte entwickelt und umgesetzt werden.

7.  Anpassen von Führungsstrategien im Vertriebsmanagement

Neue Vertriebsstrategien verlangen von Vertriebs- und Verkaufsleiter vielfältige neue Kompetenzen. Sie sollten zukünftig deutlich mehr Zeit in Analyse, Planung und tatsächliche Führungsaufgaben investieren, die Mitarbeiter auf den erforderlichen Wandel vorbereiten, in die Marktbearbeitung involvierte Abteilungen synchronisieren helfen.

Matthias Huckemann

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