Das schwierige Verhältnis zwischen Marketing und Nachhaltigkeit

Um Missverständnissen vorzubeugen: In diesem Artikel geht um ökologische Nachhaltigkeit. Um Marketing im Dienste der grundlegenden ökologischen Transformation eines Unternehmens zu Reduzierung von Ressourcen- und Energieverbrauch.

Nimmt ein Unternehmen seine ökologische Verantwortung ernst, dann wird das Marketing zwar nicht nachhaltig, aber zu einem Agenten der Nachhaltigkeit.
Nimmt ein Unternehmen seine ökologische Verantwortung ernst, dann wird das Marketing zwar nicht nachhaltig, aber zu einem Agenten der Nachhaltigkeit.© Naiyana/stock.adobe.com

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Was bedeutet Nachhaltigkeit und Marketing?

Nachhaltig wird nicht verstanden als einfach dauerhafte und tiefgreifende Wirkung von Marketingaktivitäten auf Kunden, sondern steht für das Gleichgewicht zwischen Ressourcenverbrauch und Ressourcenerhaltung im Interesse des Erhalts unserer ökologischen Lebensgrundlagen.

Seit 2020 gibt es den Marketing for Future Award. Nach Aussage der Initiatoren „Deutschlands einziger Preis für klimapositives Marketing“. Was wird hier ausgezeichnet?

Es klingt zuerst einmal wie eine typische ansprechend klingende Begriffsschöpfung eines kreativen Marketing-Kopfes. Wurde hier eine Marketing-Organisation ausgezeichnet, die besonders ressourcenschonend arbeitet, also keine Papierkataloge mehr verschickt und auf die klassischen Wegwerfwerbeartikel auf Messen verzichtet, Dienstreisen zugunsten von Videokonferenzen streicht und mit Mitarbeitern E-Bikes für den Weg ins Büro zur Verfügung stellt? Vermutlich ist das nicht gemeint, obwohl es auch wichtig wäre.

Was ist klimapositives Marketing?

Vielmehr geht es um die Rolle des Marketings beim Kampf gegen den Klimawandel. Die Entwicklung ist noch relativ jung, aber die Marketingszene beschäftigt sich mit Nachhaltigkeit und ihrer Verantwortung.

Warum die Frage nach Nachhaltigkeit fürs Marketing relevant ist

  1. Marketing ist das Sprachrohr von Unternehmen

Es verantwortet die Kommunikation mit den Kunden, die Darstellung des Unternehmens. Es versucht aktiv auf die Wahrnehmung und das Kaufverhalten von Kunden Einfluss zu nehmen. Zielsetzung des Marketings ist die optimale Gestaltung von Kundenbeziehungen im Interesse der Ziele des Unternehmens. Damit verfügt es über die Kompetenzen und die Mittel, Konsumverhalten zu verändern und Kunden Umweltprobleme zu sensibilisieren.

  1. Das Marketing ist zusammen mit dem Vertrieb der Wachstumsmotor eines Unternehmens

Der Erfolg von Marketing-Aktivitäten wird in Kategorien wie Umsatzwachstum, Kundenloyalität und Ertragsmaximierung gemessen.

In einer Welt des Überangebots übernimmt das Marketing die wichtige Funktion, Bedürfnisse zu erzeugen, wo vorher keine waren und das Unternehmen möglichst vorteilhaft darzustellen, um den Konsum immer weiter ankurbeln. Leider bedeutet immer mehr Konsum und Wachstum zwangsläufig mehr Ressourcenverbrauch und steht im Konflikt mit dem Ziel Nachhaltigkeit.

Es verwundert daher nicht, dass das Marketing schnell im Verdacht steht, eher Teil des Problems als Teil der Lösung zu sein. Es ist eine noch recht neue Entwicklung, dass im Marketing auch darüber nachgedacht wird, ob ein Marketing im Dienste des Klimaschutzes möglich ist und was dies in der praktischen Umsetzung bedeuten würde.

Welche Entscheidungskompetenz hat Marketing eigentlich?

Das Interessante an dieser Diskussion ist, dass sie den Eindruck erweckt, das Marketing sei autonom, sei in der Lage eigene Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln, weitgehend losgelöst von Rest des Unternehmens, in dem es organisatorisch eingebunden ist.

Normalerweise ist das Marketing für den Außenauftritt eines Unternehmens verantwortlich. Es sucht als Image-Schmiede nach Wegen, das Unternehmen und seine Produkte möglichst positiv darzustellen.

Marketing ist eine nachgelagerte Funktion ohne großen Einfluss auf Entscheidungen zum Geschäftsmodell, die Gestaltung von Wertschöpfungsketten oder Produkt-Designs und damit auf die wesentlichen Stellhebel für die Nachhaltigkeit in einem Unternehmen.

Deutlich wird das in dem grassierenden Phänomen des „Greenwashing“, wenn Unternehmen gegenüber der Öffentlichkeit ihre Verdienste um den Umweltschutz deutlich besser darstellen, als diese tatsächlich sind.

Wenn das Marketing über seine Verantwortung für Nachhaltigkeit spricht, dann klingt das daher sehr schnell nach einer Mischung aus Naivität und Selbstüberschätzung

„Nachhaltigkeit und Marketing bilden nur ein harmonisches Paar, wenn ein Unternehmen ernsthaft daran arbeitet, seine Ökobilanz kontinuierlich und signifikant zu verbessern und dem Marketing dadurch Material liefert, mit dem es arbeiten kann.

Oder, wenn das Marketing in einem Unternehmen so positioniert ist, dass es im Unternehmen tatsächlich auf zentrale strategische Fragen Einfluss nehmen kann und dadurch die Möglichkeit hat, die interne Nachhaltigkeits-Transformation aktiv voranzutreiben. Aber in welchen Unternehmen ist das derzeit wirklich der Fall?

Das paradoxe Verhältnis zwischen Wollen und Handeln

Wir wissen alle, was richtig ist. Wir reden auch darüber. Aber wird handeln nicht entsprechend. Wir jammern über die Hitzewelle und buchen abends eine Kreuzfahrt und legen am nächsten Morgen den kurzen Weg zum Bäcker im SUV zurück. Das ist der bekannte „Attitude-Behaviour-Gap“, also der Unterschied zwischen grundsätzlicher Einstellung und tatsächlichem Verhalten, das sich auch im Nachhaltigkeitsdiskurs vieler Unternehmen findet und viele Marketing-Aktivitäten kennzeichnet.

Unternehmen müssen auf gesellschaftlich relevante Themen reagieren, aber bevor der Druck so stark wird, dass konkrete Maßnahmen erforderlich sind, wird versucht, diese Themen entweder rein kommunikativ abzufedern oder aktiv und opportunistisch als Image-Instrument zu nutzen.

Das funktioniert recht gut, weil diese Diskrepanz auf der Kundenseite in gleichem Umfang zu beobachten ist. Ein Unternehmen verkündet, dass es nun klimaneutral sei und vielen Kunden reicht dieser Hinweis für ein gutes Gefühlt beim Einkauf.

Kunden leben in dem Spannungsverhältnis, dass sie ihren eigenen Anforderungen und Überzeugungen unzureichend oder gar nicht gerecht werden. Und deshalb wird bei der Werbekommunikation von Unternehmen auch nicht so kritisch hingeschaut.

Klimaschutz als Trendthema

Für Unternehmen und das Marketing als Kommunikationsverantwortlicher ist Klimaneutralität ein perfektes Thema. Es ist aktuell ein sehr positiv besetzter Begriff und dieses Ziel lässt sich vergleichsweise leicht umsetzen. In vielen Unternehmen sind dafür keine wirklichen Eingriffe in das Geschäftsmodell und Veränderungen des unternehmerischen Verständnisses notwendig.

Marketing und Nachhaltigkeit: Ein Beispiel für die Illusion vom grünen Wachstum

Ein Beispiel, an dem sich dies und auch die Sackgasse sehr gut veranschaulichen lässt, in der sich die Diskussion über Nachhaltigkeit im Marketing, ist das Unternehmen ABOUT YOU.

Diese Online-Plattform für den Verkauf von Kleidung praktiziert einen Umgang mit ökologischer Verantwortung, wie er derzeit für sehr viele Unternehmen kennzeichnend ist. Und dazu gehört auch die geschickte Vermarkung des zweifelhaften Siegels der Klimaneutralität, die sogar dabei half, ausgezeichnet zu werden.

2020 hat der Deutsche Marketing Verband den Deutschen Marketing-Preis an das Hamburger Unternehmen ABOUT YOU vergeben. Der Verbandsvorsitzende hat es treffend beschrieben, als er die Wahl begründete: „Überzeugt hat die Jury der ganzheitliche Marketingansatz und das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit“.

Lobend hervorgehoben wird, dass ABOUT YOU seit 2020 klimaneutral ist, Verpackungsmüll reduziert, nachhaltig produzierte Mode unterstützt und Second Hand Mode im Onlineshop anbietet. Diese Aktivitäten sind natürlich auch Gegenstand der Marketingkommunikation.

ABOUT YOU ist ein bekennender, aber leider (noch) nicht sehr aktiver Klimaschützer. Aufgrund des Geschäftswachstums sind die gesamten Treibhausemissionen zwischen 2019 und 2022 um 79% und der Verbrauch an Verpackungsmaterial um 41% gestiegen. Die konsequente Wachstumsorientierung macht alle guten Vorsätze zunichte und das Unternehmen zu dem Gegenteil dessen, was es von sich behauptet, nämlich einem Klimaproblem. Ein Beispiel dafür, dass die Idee von einem grünen Wachstum eine Illusion ist.

  • Die sogenannte Klimaneutralität bezieht sich nur auf die eigenen Infrastrukturen des Online-Händlers, nicht jedoch auf die verkauften Produkte. Auf deren Herstellung und Transport entfallen jedoch mehr als 90% der Treibhausgasemissionen.
  • Zudem wird die Klimaneutralität hauptsächlich durch die finanzielle Unterstützung von Kompensationsprojekten erreicht und nicht durch eigene, interne Maßnahmen.
  • Interessant ist auch, dass sich das Unternehmen Klimaschutzziele nur in Bezug auf die Eigenmarken setzt, nicht jedoch für Fremdmarkenprodukte, die aber 90% des Geschäfts ausmachen.
  • Das problematische Fast-Fashion-Geschäftsmodell, das darauf beruht, Menschen dazu zu bewegen, mehr Kleidung zu kaufen als sie benötigen, wird nicht angetastet.

Umweltschutz bleibt an der Oberfläche. Und das, was gemacht wird, nutzt das Marketing für die Herstellung eines positiven Images. Den meisten Kunden reicht das, auch wenn es für den Klima- und Umweltschutz nicht reicht.

Marketing-Greenwashing klappt bislang ohne Risiko

Im Frühjahr dieses Jahres hat die Süddeutsche Zeitung eine Artikel-Serie veröffentlicht, in der die Nachhaltigkeits-Aktivitäten von Unternehmen untersucht wurden. Dabei fanden sich auch einige beeindruckende Fälle von Greenwashing.

Hat eines der Unternehmen nach dieser kritischen Berichterstattung Ertragseinbußen aufgrund von Reputationsschäden erlitten?

Zwar wird von Marketing-Experten gerne auf das Risiko hingewiesen, das mit beschönigender oder komplett irreführender Darstellung der Beiträge zum Umwelt- und Klimaschutz verbunden ist. Aber diese Gefahr ist für Unternehmen sehr überschaubar.

Einen eindrucksvollen Beleg für die engen Grenzen der Sanktionsbereitschaft von Konsumenten hat der Autokonzern VW geliefert, der tausende Kunden durch falsche Aussagen zum Ausstoß von Schadstoffen und dem Einsatz von Software zur Manipulation der messbaren Abgaswerte systematisch betrogen hat.

Ziel war es, bestimmte Abgasnormen einzuhalten und die Fahrzeuge zur Förderung des Verkaufs als „clean diesel“ zu bewerben. Autokäufer haben VW diesen Betrug offensichtlich nicht sehr lange übelgenommen. Im Jahr 2015, als die Praktiken des Konzerns bekannt wurden, sanken die Absatzzahlen um lediglich 2% gegenüber den Vorjahr. Aber schon 2016 konnte wieder ein Anstieg von 3,8% verzeichnet werden, was im Rahmen der normalen Wachstums des Unternehmens liegt.

Marketing als Erfüllungsgehilfe der Unternehmensleitung

Wenn Marketing-Verantwortliche sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen und dieses Thema zum wichtigen Bestandteil der Marketing-Kommunikation wird, ist dies grundsätzlich positiv zu bewerten.

Marketing-Kommunikation bewegt meistens etwas und das selbst, wenn ein Unternehmen Greenwashing betreibt. Es verstärkt die Wahrnehmung für das wichtige Thema Nachhaltigkeit und trägt dazu bei, dass Kunden sensibilisiert werden.

Aber es bleibt dennoch dabei, dass Marketing primär verantwortlich ist für das Brand Management und Inhalte sollen dieser Aufgabenerfüllung dienen. Das Marketing ist nicht die Stabsstelle für Nachhaltigkeit und auch nicht zuständig für die Entwicklung neuer Konzepte zur Verbesserung der Nachhaltigkeit eines Unternehmens. Marketing ist Mittel zum Zweck: dem Erfüllen von Interessen der Unternehmensführung.

Die vom Marketing realisierte Nachhaltigkeitskommunikation begleitet die Umsetzung strategischer Unternehmensziele. Im Idealfall wird damit ehrlich und transparent über tatsächliche Aktivitäten und deren Resultate berichtet, werden Kunden aufgeklärt und versucht, klassische Konsummuster zugunsten der Umwelterhaltung zu verändern.

Welche Themen bewegt Marketingorganisationen aktuell?

Die Ergebnisse einer aktuellen Studie der European Marketing Confederation, in der europäische Chief Marketing Officers zu Herausforderungen und spezifischen Strategien befragt wurden, zeigt sehr deutlich, was Marketingorganisationen derzeit bewegt.

  • der Einsatz von Marketing-Technologien
  • das Customer Experience Management
  • die Digitalisierung
  • die Einführung neuer Kennzahlen und Messwerten zur Optimierung der Marketingausgaben.

Es geht vorrangig darum, wie Inhalte aufbereitet werden, über welche Kanäle sie in welcher Form an welche Kundensegmente ausgespielt werden. Die Inhalte selbst sind nur Marketing-Material, schnelllebig und auswechselbar.

Purpose-Driven Marketing

Es ist aktuell viel die Rede von Purpose-Driven Marketing und dieser Begriff beschreibt das schwierige Verhältnis von Nachhaltigkeit und Marketing recht gut. Purpose, also der vorrangige Zweck der meisten Unternehmen, ist Wachstum und Ertragssteigerung, und das gilt in besonderem Maße dann, wenn es Shareholder gibt, also Aktionäre oder Investoren.

Wir leben in einer Überangebotsgesellschaft mit der kontinuierlich zunehmenden Herausforderung für Anbieter, sich abzuheben, die Aufmerksamkeit der Kunden zu gewinnen, immer neue Nachfrage zu schaffen und zusätzlichen Konsum zu erzeugen. Dies geschieht über Marketingaktivitäten.

Selbst bei nachhaltig vorteilhaften Produkten entspricht verkaufsförderndes Marketing also streng genommen nicht dem Prinzip der Nachhaltigkeit.

Wenn das gesellschaftliche Interesse an Nachhaltigkeit wieder sinken sollte, was nicht zu hoffen ist, dann wird der Begriff auch für das Marketing wieder uninteressanter werden. Das ist keine Grundsatzkritik, sondern soll vielmehr die Rolle und Arbeitsweise des Marketing in Unternehmen beschreiben und erklären, warum das Marketing nur eine nachgelagerte Rolle im Kampf für mehr Nachhaltigkeit spielt.

Entsprechend schwierig gestalten sich die Versuche, über Nachhaltigkeit im Marketing oder sogar nachhaltiges Marketing zu sprechen, solange Marketing organisiert ist als Erfüllungsgehilfe für Unternehmensziele und nicht als Innovationstreiber und strategischer Vordenker.

Es wäre interessant, Unternehmen genauer zu analysieren, in denen das Marketing die Rolle eines wichtigen Impulsgebers für grundlegende ökologische Verbesserungen einnimmt. Das Marketing verfügt nicht über das Maß an Entscheidungskompetenz, um seinen Einfluss auf Konsumenten eigenständig zu nutzen, um den Klimawandel einzudämmen.

Transformationsmotor Nachhaltigkeits-Marketing

Wenn allerdings ein Unternehmen ernsthaft an der Umsetzung einer nachhaltigen Zukunftsvision arbeitet, dann kommt dem Marketing eine zentrale Rolle zu, diesen tiefgreifenden Transformationsprozess durch die umfassende Kommunikation von Entscheidungen, Maßnahmen, Zielen, Ergebnissen und relevanten Informationen zu neuen Produkten und Dienstleistungen zu unterstützen.

Ohne Marketing-Kommunikation ist ein solcher Transformationsprozess nicht möglich. Sie sorgt für die erforderliche Wahrnehmung, schafft Glaubwürdigkeit und liefert Entscheidungshilfen für Kunden, damit diese in die Lage versetzt werden, ihren Beitrag zu einem nachhaltigen Konsum und einem Umbau unserer Wirtschaftsstrukturen zu leisten.

Fazit des Experten Im Marketing spiegelt sich die Seele eines Unternehmens. Nimmt ein Unternehmen seine ökologische Verantwortung ernst, dann wird das Marketing zwar nicht nachhaltig, aber das Marketing zu einem Agenten der Nachhaltigkeit. Wer als Marketing Experte Nachhaltigkeits-Marketing machen möchten, der muss sich das passende Unternehmen suchen.

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Dr. Udo Kords

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