View: 411 Kommentieren: 0
Das Problem: Steigende Betriebs- und Fixkosten, langfristig feste Absatzpreise
Der Ukraine-Krieg, fragile Lieferketten, Preissprünge bei Vorprodukten und Energie, steigende Zinsen und Lohnkosten, dazu einseitige Kürzungen der Abnahmemengen von Seiten ihrer Großkunden – all dies hat die Risiken mittelständischer Zulieferer gewaltig gesteigert und sie häufig in die Verlustzone geführt.
So leiden viele Autozulieferer unter Margenschwäche und sind in die roten Zahlen gerutscht: Schon drei mussten nach Angaben der WirtschaftsWoche in diesem Jahr Insolvenz anmelden. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt 31, von denen bislang nur für jedes vierte Unternehmen eine Nachfolgelösung gefunden wurde, indem es von einem anderen Unternehmen übernommen wurde.
Die kleinen und mittelständischen Zulieferer haben alle das gleiche Problem: Ihre Beschaffungskosten für Vormaterialien und Energie steigen, ebenso die Personalkosten, weil die Gewerkschaften einen Ausgleich für den Kaufkraftschwund ihrer Mitglieder verlangen
Dazu kommen Halbleiter-Mangel und fragile Lieferketten. Die Folge: Ihre Betriebs- und Fixkosten steigen, und das in einer Situation, in der die großen Autohersteller ihre Abrufzahlen nach Belieben entsprechend der Nachfrage reduzieren.
Preisverhandlung im B2B-Vertrieb: In 6 Schritten zu fairen Preisen in schlechten Zeiten
Schwierige Zeiten für Unternehmen, denn: Die Preise steigen auf breiter Front und die wirtschaftliche Situation ist angespannt. Entsprechend hart werden aktuell viele Vertrags- und Preisverhandlungen geführt. Wie Sie …
Mehr lesenNeue Herausforderungen für den Vertrieb des Zulieferers: Risikoreduzierung
Dazu kommt die generelle Unsicherheit über die zukünftigen Bestellmengen ihrer Großkunden aufgrund des bevorstehenden Antriebswechsels hin zur Elektromobilität.
Aber wenn die eigenen Stückkosten bei geringerem Absatz steigen, weil ihre Absatzpreise aufgrund langfristiger Verträge gebunden sind, wird das zu einem existenziellen Großrisiko. Banken kündigen die Kredite, die Zulieferer bekommen von ihren Unterlieferanten keinen Zahlungsaufschub mehr gewährt und geraten in Refinanzierungsschwierigkeiten.
Um über die Runden zu kommen, müssten die Zulieferer eigentlich vom Automobilhersteller einen Ausgleich in Form höherer Einmalzahlungen, höherer Teilepreise oder Abschlagszahlungen erhalten. Aber solche vertraglichen Regelungen gibt es bislang so gut wie nicht.
Der Vertrieb der Zulieferer, der sich bei den früher weitgehend stabilen globalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ganz auf den Aufbau partnerschaftlicher Kundenbeziehungen konzentrieren konnte, steht dadurch vor einer völlig neuen Herausforderung:
- Er muss entweder aggressiv höhere Teilepreise oder Einmalzahlungen durchsetzen, was schwierig ist angesichts der Marktmacht der großen Autohersteller.
- Oder er kann alternativ versuchen, in der Beziehung mit seinen Großkunden eine mittel- und langfristige Vertragsgestaltung zu erreichen, durch die sich das unternehmerische Risiko reduzieren oder sogar fast gänzlich eliminieren lässt.
Der perfekte Vertrag: Preisgleit- und Nachverhandlungsklauseln für alle Kostentreiber
Gesucht ist ein „Burden Sharing“ durch den perfekten Vertrag. Die Idee dahinter ist die vertragliche Variabilisierung und Indizierung aller Kostentreiber.
Dadurch sichert sich der Zulieferer gegenüber den Risiken und Volatilitäten des Marktes ab, indem er diese an den Kunden weitergibt. Das sichert nicht nur seine Rentabilität, sondern schafft auch höhere Planungssicherheit für notwendige Zukunftsinvestitionen.
Kern dieses langfristigen Rahmenvertrags sind Preisgleit- und Nachverhandlungsklauseln für alle Leistungen, die für das Produkt relevant sind:
- für Rohmaterial wie Stahl, Eisen, Kupfer, Aluminium oder Kunststoffe
- für Energie wie Gas und elektrischer Strom
- für Personal- und Transportkosten
- für vom Großkunden veranlasste Volumenänderungen.
Vor Beginn der Verhandlung muss der Zulieferer also eine Herstellkostenanalyse vornehmen, um die wirklichen Kostentreiber zu identifizieren und diese mit Preisindizes verknüpfen.
Doch Vorsicht: Hier gilt es aufzupassen, denn nicht alle Preisindizes spiegeln die Realität richtig wider. Am besten sind hierfür objektive Preisindizes geeignet. In den Verhandlungen für den langfristigen Rahmenvertrag mit dem Großkunden muss der Zulieferer diese Zahlen transparent machen. Diese werden dann einmal zwischen ihm und seinem Abnehmer verhandelt. Bei einem zufriedenstellenden Ergebnis hat er dann einige Jahre Ruhe an der Vertriebsfront.
Weniger Risiko, aber auch weniger Gewinnpotenzial
Das hat allerdings auch einen Nachteil: Fallen die Preise für Material und Energie wieder und steigen die nachgefragten Stückzahlen, so steigen die Erlöse nicht im gleichen Maß aufgrund der Preisgleitklauseln. So wie in schlechten Zeiten der perfekte Vertrag die Risiken begrenzt und vor Verlusten schützt, so begrenzt er in guten Zeiten die Gewinnchancen.
Dennoch ist ein solches Vertragswerk für alle Unternehmen im B2B-Kontext empfehlenswert, wenn sie keine eigene oder nur schwache Preissetzungsmacht haben.
Perfekte Verträge lassen sich in beide Richtungen hin aushandeln, mit dem Lieferanten und dem Abnehmer, so dass der Gedanke des „Burden Sharing“ die ganze Lieferkette durchdringt.
Unternehmen dagegen, die über besondere Preissetzungsmacht aufgrund ihrer Innovationskraft, ihrer konkurrenzlosen Produkte oder ihrer speziellen Services verfügen, sind nicht auf solche, das Risiko mindernde Verträge angewiesen. Sie dürften weniger Schwierigkeiten haben, ihre höheren Kosten an ihre Kunden weiterzureichen. Das gilt allerdings nur für eine Minderheit unter den Zulieferern.
Auch schwächer positionierte Zulieferer haben eine Chance
Aber wie können schwächer positionierte Zulieferer Druck auf ihren Großkunden ausüben, dass er einem perfekten Vertrag oder zumindest Elementen davon zustimmt?
Nach unseren Erfahrungen gilt es, den richtigen Moment für solche Verhandlungen abzupassen, beispielsweise wenn der Großkunde etwas von einem haben will.
Ein Beispiel aus unserer Praxis: Unser Kunde, ein mittelständischer Autozulieferer, produziert Teile, die im Zuge der Umstellung auf die Elektromobilität absehbar nicht mehr gebraucht werden. Für ihn ist die Produktion dieser Teile langfristig nicht attraktiv, weil sich die Fixkosten bei rückläufigen Stückzahlen auf weniger Produkte verteilen und seine Stückkosten steigen.
Andere Zulieferer, die mit ihm konkurrieren, sind deshalb schon aus diesem speziellen Teilemarkt ausgestiegen oder stehen kurz davor, dies zu tun. Der Autohersteller muss somit befürchten, dass er über kurz oder lang keinen Zulieferer mehr in diesem schrumpfenden Teilemarkt findet.
Da er aber langfristig Liefersicherheit für dieses Teil braucht für die gesamte Übergangszeit bis zum Ende des Verbrennungsmotors und er sein Entwicklungspotenzial nicht darauf, sondern auf die Elektromobilität konzentrieren wollte, hatte der Zulieferer eine Chance, hier den Hebel anzusetzen, um dem Autohersteller Zugeständnisse abzuringen.
So konnten wir einen Langfristvertrag über zehn Jahre durchsetzen mit der Variabilisierung aller Kostentreiber und Preisanpassungen bei reduzierten Abnahmezahlen.
Fazit des Experten
- Die Welt ist nicht mehr so planbar wie in den vergangenen 20 Jahren. Mit Hilfe eines perfekten Vertrags ist es möglich, Kosten und Risiken zwischen Zulieferer und Kunden optimal zu teilen.
- Im Ergebnis läuft das auf eine Wertschöpfungspartnerschaft in der ganzen Lieferkette hinaus. Der Umgang miteinander ist dabei von Transparenz und Fairness gekennzeichnet, was beide Seiten höhere Planbarkeit und Resilienz ermöglicht.
- Und sind solche langfristigen Verträge zwischen Zulieferern und Kunden geschlossen, besteht auf einige Jahre hin kein Grund, neu zu verhandeln – eine Chance für die Unternehmen, ihre Mitarbeiterressourcen in Einkauf und Vertrieb an anderer Stelle produktiver einzusetzen. In Zeiten des Fachkräftemangels sicherlich ein Gedanke mit Charme.
Zur Person
Oliver Mäschle ist Senior Sales Director bei der Negotiation Advisory Group und arbeitet seit mehr als 10 Jahren als Verhandlungsexperte in der Industrie. Für namhafte internationale Kunden leitet der promovierte Ökonom großvolumige und strategisch bedeutsame Verhandlungsprojekte im Vertrieb und Einkauf. Zu seinen Einsatzgebieten gehören unterschiedlichste Branchen, wie z.B. Automotive, Maschinenbau, Retail oder Pharma. Branchenübergreifend strebt er für seine Klienten immer nach den bestmöglichen kommerziellen Ergebnissen und einer Erhöhung der Gewinnmargen. Dabei setzt er souverän wissenschaftliche Erkenntnisse der Mikroökonomie, Verhaltensökonomie und Vertragstheorie ein. Mit diesen Methoden erzielt er erfolgreiche und nachhaltige Resultate, insbesondere bei der Verhandlung strategischer Partnerschaften.
Zum Unternehmen
Die Negotiation Advisory Group (NAG) ist die führende Verhandlungsberatung in Europa. Gegründet 2018 von René Schumann und Stefan Oswald hat die NAG Erkenntnisse der Spieltheorie und der Verhaltensökonomie sowie aus der eigenen Praxis zu einem innovativen System of Negotiation verdichtet, das optimale Verhandlungsergebnisse ermöglicht. NAG hat mit inzwischen 50 internationalen Expertinnen und Experten mehr als 2.800 Verhandlungsprojekte durchgeführt und ein Volumen von mehr als 19 Milliarden Euro verhandelt. Das Unternehmen hat Büros in Düsseldorf, Mannheim und Berlin. Zu seinen Kunden zählen internationale Konzerne sowie große mittelständische Unternehmen.
Der Vetriebsnewsletter
Das Neuste aus der Vertriebswelt — direkt in Ihrem E-Mail Postfach!
Newsletteranmeldung
„*“ zeigt erforderliche Felder an
Kommentar hinzufügen