Geomanagement im Vertrieb: „Ich weiß, wo Dein Haus wohnt“

Im Zeitalter von Big Data und Market Intelligence gewinnt auch Geomarketing zunehmend an Bedeutung. Neben der Analyse von Verhaltensmustern werden heute auch Prognosen und Berechnungen aufgrund von Wohngegenden erstellt. Thorsten Frerk zeigt in seinem Vortrag mit dem Titel „Ich weiß wo dein Haus wohnt: Geomanagement im Vertrieb“ auf dem Vertriebsmanagementkongress 2017 Chancen und Risiken dieses neuen Trends auf.

Geomanagement
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Kundendaten haben heute einen unschätzbaren Wert in Vertrieb und Marketing und damit für Unternehmen. Frei nach Gabler Wirtschaftslexikon ist Market-Intelligence eine Ausprägung der Business Intelligence und bedeutet: IT-gestützter Zugriff auf glaubwürdige, aussagekräftige und relevante Informationen sowie deren Analyse und Aufbereitung, um daraus eine optimierte Kundenansprache herzuleiten.

In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren haben Unternehmen enorme Datenmengen angehäuft. Laut Frerk wird vermutet, dass 90% aller weltweit gespeicherten Daten nur in den letzten zwei Jahren gesammelt wurden. Heute ist es selbstverständlich, dass Informationswahrnehmung auch mit einer Landkarte verbunden ist oder über eine Landkarte erfolgt. Relativ neu allerdings ist die Herstellung des Lagebezugs, das sogenannte Geomarketing. Das bedeutet, dass der Ort über den die Daten gesammelt werden, in die Analyse miteinbezogen wird.

Geomanagement: „Du bist wo du wohnst“

Geomarketing ist ein Teilbereich des Geomanagement. Sein Wohnort eröffnet jede Menge Informationen über den Kunden – und das bietet ungeahnte neue Möglichkeiten für Vertrieb und Marketing. Frerk spricht sogar von hausgenauen Milieuanalysen: „Du bist wo du wohnst“. Heute sind Echtzeitanalysen von Bewegungs-, Kommunikations- und Transaktionsdaten möglich – man nennt das Realityminding.

„Der freie Wille ist ein Mythos – Wir sind Produkte unserer Prägung. Ein paar einfache Fragen genügen um Verhalten vorhersagen zu können“.

„Visa kann zum Beispiel voraussagen, wer sich in naher Zukunft wahrscheinlich scheiden lässt oder erkennt, wer gerade schwanger ist – und das nur aufgrund des Kassenbons und aufgrund von Veränderungen des Einkaufsverhaltens. Uber konnte aufgrund der Bewegungsprofile erkennen wer fremdgeht. Wir sind durch unsere Erfahrungen geprägt. Wer von Oma mit Penaten eingerieben wurde wird nie ein Bübchenjünger werden. Und wenn man weiß wo jemand wohnt, weiß man erst recht wie er tickt.“ so Frerk.

Um anschaulich darzustellen, welche Ergebnisse eine solche Wohnortanalyse bringt, gab Frerk seinen Zuhörern auf dem Vertriebsmanagementkongress 2017 einen kleinen Einblick in seine eigene Geomarketing-Auswertung.

Wer bin ich?

Wenn man Frerks Adresse in bestimmte Datenbanken eingibt, findet man folgende Informationen und Ergebnisse: Frerk ist Performer und somit Angehöriger einer multi-optionalen, effizienzorientierten Leistungselite mit global-ökonomischem Denken und stilistischem Avanatgarde-Anspruch. Sein Kaufkraft Index liegt stark über dem Durchschnitt. Er ist zweckorientierter Gebrauchtwagenfahrer mit einer leicht überdurchschnittlichen Affinität zu Weizenbier und gutem Wein. Es handelt sich bei diesen Erkenntnissen um reine Wahrscheinlichkeitsrechnung oder Stochastik.

„Bertelsmann hat zum Beispiel pro Haushalt um die 600 Attribute. Diese treffen zu ungefähr 60 bis 70% zu. Eine 100%ige Prognose lässt der Datenschutz nicht zu,“ so Frerk.

Gleich und gleich gesellt sich gern

Der Hintergrund in der Psychologie ist die sogenannte Segregation oder Entmischung. Menschen neigen dazu sich zusammenzurotten. In den gleichen Lebensphasen wohnen Menschen gerne mit Menschen in derselben Lebensphase und noch lieber mit Menschen ähnlicher Prägung zusammen. Gleich und gleich gesellt sich eben gerne. Auch kulturelle, religiöse und soziologische Einflüsse, wie etwa der Bildungsgrad, wirken mit. „An Istanbul sieht man das zum Beispiel sehr deutlich. Da gibt es ein erzkonservatives Viertel mit verschleierten Frauen und gleich daneben ein sehr liberales und fortschrittliches Gebiet. Die Natur verhält sich oft genau andersrum. Denn Zusammenrottung ist in freier Wildbahn nicht immer hilfreich oder endet manchmal sogar tödlich.“ vergleicht Frerk.

Der Kunde wirft mit seinen Daten um sich

Heute besteht eine enge Verbindung zwischen Apps und Werbenetzwerken. Die 50 beliebtesten kostenlosen Apps funktionieren nur, wenn man Ihnen Daten wie etwa Aufenthaltsort, Bewegungsdaten, Gesundheitsdaten, etc. zur Verfügung stellt. Und der Absatz von Gesundheitsarmbändern steigt, während auf der anderen Seite immer mehr über Datenschutz und eine neue EU Datenschutzverordnung diskutiert wird.

Es ist naheliegend, dass die Daten von Gesundheitsarmbändern auch einmal an Versicherungen verkauft werden. Der Kunde gibt also freiwillig sehr viel Information über sich preis. In Verbindung mit Geomarketing erbringt dies enormes Wissen über ihn, seine Vorzüge, Gewohnheiten, Ticks und seine Kaufkraft.

Die Gefahren

Schon während man sich einen Kauf überlegt findet im Hintergrund bereits eine Bonitätsabfrage aufgrund der Wohnadresse statt. Diese entscheidet auch darüber, ob dem einen Kunden eine Zahlung auf Rechnung angeboten wird und dem anderen nicht. Sogar wenn man selbst die beste Bonität aufweist, kann einem allein aufgrund der Nachbarschaft eine schlechte Bonität attestiert werden. Deshalb kommt es häufig zu Kreditverweigerungen wegen vermeintlich falscher Wohngegenden.

Auch Versicherungen fragen in jedem Online-Formular nach dem Wohnort, bevor sie ein Angebot machen. „Auch mehrere Umzüge sind für die Schufa prinzipiell schlechter, da Menschen, die lange an einem Ort wohnen, den Unternehmen mehr Sicherheit geben, als weniger sesshafte Personen,“ erklärt Frerk. Die Wohngegend entscheidet auch über die Bildung eines Kindes. Die Prognosen für Kinder sind sogar stärker von ihrem Wohnort abhängig als von der elterlichen Prägung.

Gezielte Kampagnen

Unternehmen können von diesem neuen Trend durchaus profitieren.

Ein Beispiel: Eine der besten und erfolgreichsten Geomarketing-Aktionen kam, laut Frerk, vom Gartengeräte-Hersteller Gardena. Das Unternehmen machte sich das Wissen um die Wohngegend zunutze und wählte gezielt Familienhaushalte mit Gärten in bestimmten Gebieten aus. Nach vierzehntägiger Trockenheit startete Gardena dann eine Kampagne für Bewässerungssysteme mit entsprechender Rabattaktion in den umliegenden Baumärkten und hatte damit enormen Erfolg. Das Unternehmen war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Ein weiteres Beispiel ist das sogenannte Apothekentargeting: Für ein Produkt werden 2000 Topperformer-Apotheken gesucht. Das Medikament ist hauptsächlich für alleinstehende Senioren über 55 Jahren interessant. Davon gibt es ca. 6,5 Millionen Haushalte in Deutschland. Durch eine Umkreisanalyse werden die Apotheken herausgesucht, die zu Fuß von Arztpraxen und Selbsthilfegruppen aus erreichbar sind – denn es ist naheliegend, dass der Patient nach einem Arztbesuch gleich die nächstliegende Apotheke anpeilt.

An diese Apotheken richten sich nun besondere Aktionsangebote. Leicht überproportional genutzte Marken bei dieser Zielgruppe sind zum Bespiel Abtei und Doppelherz. 31% der Nutzer haben bereits eine Kur bzw. einen Gesundheitsurlaub hinter sich. Ihre Einstellung zur Gesundheit: Sie nehmen nur Medikamente, die ihnen von einem Arzt empfohlen oder verschrieben wurden. An Onlineangeboten sind sie nicht so stark interessiert. Erst 1,5 % von ihnen haben Medikamente oder Körperpflegeprodukte online bestellt.

Weitere Chancen für die Zukunft

Variabilität von Zeit und Ort wird im Außendienst in Zukunft viel Geld einsparen, da man Kundenbesuche oder Treffpunkte effizienter mit anderen Vertriebsmitarbeitern planen kann. Apps werden es möglich machen, den Kontakt mit dem Kunden zu halten bis der Kundenbesuch tatsächlich stattfindet. „Eine solche App kann die ungefähre Ankunftszeit berechnen, dann automatisch eine Nachricht an den Kunden senden, wann der Verkäufer ungefähr bei ihm oder am Treffpunkt sein könnte verbunden mit der Frage, ob das auch so in Ordnung ist. Wenn der Kunde NEIN sagt, und eine zeitliche oder örtliche Verschiebung wünscht, bekommt er einen neuen Termin- oder POI Vorschlag, eventuell sogar kombiniert mit Speisen- und Getränke-Aktionen oder Ähnlichem. Das Ganze wird dann automatisch eingebunden in das CRM System des Autos, Handys oder des PCs“.

Fazit

Geomarketing birgt für Unternehmen mehr Chancen als Risiken. Richtig eingesetzt wird Geomanagement zukünftig die vielfältigen Möglichkeiten der Digitalisierung für Vertrieb und Marketing bereichern und ergänzen.

Zur Person

Thorsten Frerk ist Sales Director GeoManagement und Prokurist bei der PTV Group, Dipl. Geograf und seit 1994 als Softwareexperte für die Markenartikelindustrie tätig. Heute verantwortet er den Bereich GeoManagement der PTV Gruppe weltweit. Als Lehrbeauftragter hält er Vorträge an Hochschulen unter anderem zu den Themen Vertriebssteuerung und Außendienststeuerung.

Bild: © mailingtage 2013

Dr. Lydia Polwin-Plass

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