Hyper-Vertrieb, Hyper-Technologisierung: Manipulation oder Fortschritt?

Wie immer am Anfang eines Jahres: Es ist die Zeit für die üblichen Ausblicke. Die VertriebsexpertInnen scheinen sich recht einig zu sein: Mehr KI, mehr Big Data und mehr Automatisierung stehen ganz oben auf den Trend-Listen. Das überrascht nicht. Liefert aber Gründe zur Beunruhigung.

Vorsicht Kunde. Unternehmen rüsten weiter auf, um Dich mit einem Hyper-Vertrieb noch besser zu manipulieren und Deine psychologischen Schwächen auszunutzen.
Vorsicht Kunde. Unternehmen rüsten weiter auf, um Dich mit einem Hyper-Vertrieb noch besser zu manipulieren und Deine psychologischen Schwächen auszunutzen.© Bartek/stock.adobe.com

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Blättert man dieser Tage durch Vertriebspublikationen, dann begegnen einem auffallend häufig der Begriffe mit der Vorsilbe Hyper. Hyper-Personalisierung im Marketing. Hyper-Technologisierung im Vertrieb. Meistens im Kontext von KI.

Nun sollte man wissen, dass hyper für übertriebene Größe oder übermäßig stark ausgeprägte Eigenschaften steht. In der Medizin ist es ein Hinweis auf krankhafte Veränderungen. Es lohnt also, genauer hinzusehen, wenn von hyper die Rede ist.

Stichwort Hyper-Personalisierung

Wie immer bei neuen Technologien kennen die dazugehörenden Versprechen keine Grenzen. Gewissermaßen Hyper-Versprechen, die Hyper-Erwartungen erzeugen sollen, die dann natürlich zu Hyper-Verkaufszahlen für die entsprechenden Softwareanbieter führen sollen.

Beispiele für die Allmachtsphantasien der Technikpropheten:

  • KI-Assistenten sprechen die Sprache der jeweiligen Marke und transportieren deren Werte.
  • I-Assistenten werden die Stimme und den Charakter eines Unternehmens verkörpern.
  • KI macht die Kundeninteraktion persönlicher.

KI wird Kundenbeziehungen auf eine neue Ebene heben. Welche Ebene ist hier gemeint? Was wird da mit den Kunden gemacht? Wie ist Beziehung zwischen KI und Kunden?

Ein Vertriebsleiter brachte es auf dem Punkt: Die Zukunft des Vertriebs ist smart. Wieder hilft ein Blick in den Duden, um wirklich zu verstehen, was gemeint ist.

Smart bedeutet: clever oder gewitzt. Das sind Eigenschaften, die vorrangig dazu dienen, den eigenen Vorteil zu optimieren. Wer das Beste für Kunden im Sinn hat, würde seine Arbeit vermutlich anders beschreiben.

Sprache hat immer etwas Entlarvendes. Es geht beim Einsatz von smarter KI im Vertrieb vorrangig um die noch bessere Instrumentalisierung von Kunden zu Verfolgung von Wachstumsstrategien.

Die Art, wie Kundenbeziehung in diesen hyper-smarten Vertriebsfantasien definiert wird, hat etwas Toxisches, Bevormundendes, Respektloses. Stolz wird darauf hingewiesen, dass Vertrieb künftig Kunden nicht mehr fragen, oder über deren Bedürfnisse spekulieren muss, weil KI-Datenauswertung vergleichbar wird mit Gedankenlesen.

Durch Hyperpersonalisierung weiß eine Website künftig besser als der Kunde selbst, was er gerade wirklich sucht. Smart bedeutet also, mehr zu wissen als der Kunde. Die Verheißung lautet: Du verkaufst alles. Und davon mehr. Das ist eine ziemlich anmaßende Allmachtsvision.

Wenn man sich jedoch klar macht, wie soziale Medien durch die gezielte Ausspielung von Fake News einen erheblichen Teil der digital affinen Menschheit auf eine neue Ebene kollektiver Dummheit gehoben haben, dann wird deutlich, dass diese Äußerungen eine Warnung beinhalten, die ernst genommen werden sollte.

Die Botschaft lautet: Vorsicht Kunde. Unternehmen rüsten weiter auf, um Dich noch besser manipulieren und Deine psychologischen Schwächen ausnutzen zu können.

KI als Schlüssel für die Tür zum Hyperkapitalismus

  1. Es wird immer weniger digitalen Raum ohne Werbung geben und diese Werbung wird sich von Informationen immer weniger unterscheiden.
  2. Es wird keine Augen mehr geben, in die Du schauen kannst, um den Wahrheitsgehalt des Gesagten zu überprüfen. Technik lügt perfekt und schamlos.
  3. Und KI verwendet alle über Dich gesammelten Informationen noch geschickter gegen Dich.
  4. Für ein persönliches Gespräch werden Kunden in absehbarer Zukunft wahrscheinlich bezahlen müssen.

Ein wesentliches Kennzeichen des Kapitalismus ist, dass das Wirtschaften nicht von dem Motiv angetrieben wird, Bedürfnisse zu befriedigen, sondern vom Prinzip der Profitmaximierung angetrieben wird. Ziel ist es daher, permanent neue Bedürfnisse zu erzeugen, die wiederum Kaufverhalten auslösen, von Produkten, die Kunden faktisch nicht benötigen und immer häufiger auch immer weniger nutzen. Man denke an Fast Fashion.

KI-Einsatz für eine lebenswerte Zukunft?

Da war doch noch was? Klimaveränderungen. Artensterben. Die Vermüllung der Welt. Die Folgen eines Wirtschaftssystems, das in seiner Strukturlogik und seinem Wachstumswahn blind ist für die Schäden, die es permanent erzeugt, selbst wenn es sich dabei um die Vernichtung der eigenen Existenzgrundlagen handelt.

Nichts gegen KI im Vertrieb. Nur wer setzt sich dafür ein, dass sie für die Realisierung einer Vision für eine lebenswerte Zukunft eingesetzt wird und nicht für eine neue Stufe der ökologischen Selbstzerstörung und der fortgesetzten Entmenschlichung von Kunden?

Wer Respekt vor Menschen hat und Verantwortung für sein eigenes Verhalten empfindet, wird sich gegen eine Tätigkeit in einer Vertriebs- oder Marketingabteilung entscheiden, in der hemmungslos weiter die Steigerung des Absatzes verfolgt wird und Technik eingesetzt wird, um Menschen immer ausgeklügelter zum Konsum zu motivieren. Frei nach dem Trump-Motto: Buy, baby, buy.

Was würde uns die KI in der aktuellen Situation und vor dem Hintergrund multipler katastrophaler Entwicklungen empfehle?  Ich habe chatGPT gefragt und gebe hier ein paar Antworten wieder:

  • Aufgabe des Vertriebs ist es, dass Kunden verstehen, warum es für sie und die Umwelt sinnvoll ist, Produkte länger zu nutzen und nicht ständig neue zu kaufen.
  • Der Vertrieb soll Kunden darin unterstützen, die besten Entscheidungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung zu treffen.
  • Die Rolle von Vertrieb und Marketing verändert sich von einem reinen Wachstumsziel hin zu einem Bewusstsein für Nachhaltigkeit und verantwortungsvollen Konsum.

Fazit des Experten

KI weiß, was wir alle wissen und welche Veränderungen zwingend notwendig sind. Nur im Unterschied zur überwiegenden Mehrheit von Vertriebs- und Marketing-Managern, verschließt sie nicht die Augen vor der Realität und folgt unbeirrbar eine Weiter-So-Strategie. Wenn sie könnte, dann würde sie den mit ihr praktizierten Missbrauch von Kunden und Umwelt wahrscheinlich unterbinden.

Wenn doch Vertriebs- und Marketingmanager mehr auf ihre KI hören würden, nachdem sie ihr die richtigen Fragen zum verantwortungsvollen und zukunftsorientierten Einsatz von KI gestellt haben. Dann gäbe es mehr Unternehmen mit dem Anspruch hyper-nachhaltig zu sein. Wobei einfach ernsthaft bemüht um mehr Nachhaltigkeit ja schon reichen würde.

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Dr. Udo Kords

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