Informelle Führung im Vertrieb: Ressource oder Risiko?

Was ist informelle Führung  und wie kann sie den Vertriebserfolg beeinflussen?

Oft übernehmen Vertriebsmitarbeitende spontan die Führung in Projekten – ganz ohne formale Befugnis. Doch ist das ein Vorteil oder eine Gefahr?

Jeder hat ein Verständnis davon, was eine Führungskraft ist. Schnell denkt man an die damit verbundenen Aufgaben, Berichtswege und Personalverantwortung. Diese formelle Führung ist die Ausübung von Führungsaufgaben durch eine offiziell ernannte Person mit klar definierten Befugnissen und Verantwortlichkeiten. Doch es gibt im Vertrieb oft auch Führungskräfte, die formal gar keine Führungsverantwortung haben.

Implizite / informelle Führung – was sie bedeutet

Gerade im Vertrieb kommt es häufig zu Situationen, in denen formal gleichgestellte Mitarbeiter in einem gemeinsamen Projekt Lösungen finden müssen – oft kristallisiert sich in solchen Situationen dann ganz natürlich eine Person heraus, die eine Führungsrolle einnimmt. Dieses Phänomen wird informelle oder implizite Führung genannt.

Besonders spannend wird es jetzt, wenn man sich damit beschäftigt welche Auswirkungen informelle Gruppen auf den Vertriebserfolg haben.

Informelle Führung: Hilfreich oder schädlich?

• Ist es förderlich, wenn jemand das Heft des Handelns in die Hand nimmt und sein Team durch das Projekt steuert?
• Oder kann es auch negative Auswirkungen haben, wenn jemand versucht, das Projekt an sich zu reißen und ohne formale Befugnis anderen Mitarbeitenden Anweisungen gibt?

Neuste Forschungsergebnisse geben interessante Einblicke. So untersuchte eine kürzlich veröffentlichte Studie, wie sich die Entstehung impliziter Führung auf die Verkaufsleistung eines Teams auswirkt.

Erstes Ergebnis: Grundsätzlich wirkt sich informelle Führung positiv auf den Vertriebserfolg aus. informelle Führung dient dem Team demnach als Ressource, die besonders wichtig wird, wenn die Arbeitsanforderungen steigen.

Informelle Führungskräfte fangen Druck ab und bieten dem Team Orientierung. So bewirken sie, dass die Teammitglieder besser mit den Arbeitsanforderungen umgehen können und die Verkaufsleistung steigt.

Je höher die Anforderungen, desto wichtiger implizite Führung

Dieser Zusammenhang wird umso stärker, je höher die Anforderungen an das Team sind. Wenn Kunden hohe Erwartungen und komplexe Anforderungen an das Team stellen, wirkt es sich besonders positiv aus, wenn eine Führungskraft ohne Führungsverantwortung das Team steuert und deren Aktivitäten strukturiert.

Informelle Führung im Vertrieb nutzen | 5 Praxistipps

1 Fördern

Die Entstehung impliziter Führungskräfte in Verkaufsteams sollte ermöglicht und gefördert werden. Vertriebsmitarbeiter können durch eine klare Kommunikation der Rollen und Verantwortlichkeiten entlang des Verkaufsprozesses in der gesamten Vertriebsorganisation ermutigt werden, sich als implizite Führungskräfte zu entwickeln.

2 Schulen

Implizierte Führung sollte geschult werden. Der Schwerpunkt sollte weniger auf der Autorität und dem Selbstverständnis von Führungsrollen, sondern mehr auf anwendbaren Führungs- und Kommunikationsinstrumenten liegen. Hierbei sollten die Teilnehmer ebenfalls die Möglichkeit bekommen, ihr Wissen und Erfahrungen auszutauschen.

3 Verantwortliche benennen

Für jede Sales Opportunity sollte ein Vertriebsmitarbeiter als Verantwortlicher definiert werden, der alle entsprechenden Vertriebsfunktionen koordiniert.

Muss ein Team hohen Kundenanforderungen gerecht werden, ist der Zusammenhang zwischen impliziter Führung und Verkaufsleistung höher als bei niedrigen Kundenanforderungen. Implizite Führung wird also bei hohen Kundenanforderungen noch wichtiger.

4 Trainieren

Führung ohne Chefrolle ist besonders zu stärken, wenn die Kundenanforderungen hoch sind. Kommunikationstrainings sind empfehlenswert, da in selbstorganisierten Teams die Kommunikation sorgfältig gesteuert werden muss.

Implizite Führungskräfte sollten befähigt werden, dem Team ausreichende Arbeitsressourcen zur Verfügung zu stellen, indem sie eine Struktur im Team aufbauen und Konflikte bewältigen, wenn diese auftreten.

5 Grenzen der impliziten Führung

Es ergibt sich jedoch noch ein überraschender Effekt: Bei hoher Wettbewerbsintensität wird der positive Effekt informeller Führung aufgehoben.

1. Informelle Führung scheint demnach bei hoher Wettbewerbsintensität weniger relevant. Ein möglicher Grund dafür ist, dass eine hohe Wettbewerbsintensität die Fähigkeit erfordert, schnell, flexibel und effizient zu reagieren. Für eine implizite Führungskraft, die aus dem Verkaufsteam hervorgeht, kann es schwierig sein, diese Anforderungen zu erfüllen, da ihre Autorität begrenzt oder nicht ausreichend definiert ist. Das verlangsamt Entscheidungsprozesse.
2. Ein weiterer möglicher Grund ist, dass in einem wettbewerbsintensiven Umfeld der Teamerfolg eher durch strategische Entscheidungen und Maßnahmen auf Unternehmensebene beeinflusst wird.

Alternativen zur informellen Führung

Statt informelle Führung zu stärken, können Sie den Teammitgliedern auch andere Ressourcen zur Verfügung stellen, um mit der Wettbewerbssituation umzugehen. Dies könnte in Form von Verkaufsmappen, Verhandlungsleitfäden oder spezifischen Schulungen geschehen, um tiefere Kenntnisse über das Produktportfolio, die Preisgestaltung und das Alleinstellungsmerkmal der Wettbewerber zu erwerben.

Fazit der Experten

• Informelle Führung dient als wertvolle Ressource, die einem Vertriebsteam Orientierung bietet.
• Ergebnisse zeigen, dass Führung ohne Chefrolle positiv auf die Verkaufsleistung wirkt, besonders bei hohen Kundenanforderungen.
• Ihre Wirkung wird jedoch bei hoher Wettbewerbsintensität aufgehoben. Daher ist es ratsam situative Bedingungen, denen ein Team ausgesetzt ist, genau zu evaluieren, und gegebenenfalls informelle Führung gezielt zu fördern.

Zu beachten ist, dass in der Studie implizite Führung nicht mit expliziter Führung verglichen wurde. Folglich sind die Ergebnisse nicht hinsichtlich eines solchen Vergleichs zu interpretieren.

Von Jan Helge Guba und Anastasia Thalassinos

Information: Der Artikel basiert in Teilen auf der 2024 im Journal of Personal Selling & Sales Management erschienenen Studie von Jacqueline Schmidt, Sascha Alavi, Sebastian Springer und Jan Helge Guba mit dem Titel „Individual perceptions of leadership emergence in the B2B sector and its impact on perceived team sales performance“.