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In der dynamischen Welt des Vertriebs herrscht ein weit verbreiteter Irrglaube: Jede Tür, die sich öffnet, muss auch durchschritten werden. Jede Anfrage, jeder Lead, jeder potenzielle Kunde muss bedient werden. Geschäft ist Geschäft.
Diese Mentalität ist oft angetrieben durch kurzfristige Umsatzziele und den Druck von oben und mag logisch erscheinen. Doch sie ist das stille Gift, das die Profitabilität und vor allem die Seele des Vertriebsalltags aushöhlt.
Ich habe in meiner Arbeit als Experte für Verkaufspsychologie und Interim Manager unzählige Teams erlebt, die sich in genau diesem Teufelskreis aus Frustration und Erschöpfung wiederfinden. Es ist der Unterschied zwischen einem Jäger, der gezielt auf das Wild seiner Wahl geht, und einem Staubsaugervertreter, der an jeder Haustür klingelt.
Der eigentliche Sinn des Vertriebs ist es, die richtigen Kunden für das eigene Angebot zu gewinnen. Kunden, die den Wert der Lösung wirklich verstehen, die bereit sind, in eine Partnerschaft zu investieren und die langfristig zur eigenen Wertewelt passen.
Das Gegenteil ist ein Vertrieb, der sich als Dienstleister für alle und jeden versteht. Kunden, die von Anfang an auf den Preis drücken, die jeden Prozess verkomplizieren und die, wenn es darauf ankommt, ihre eigenen Verträge missachten. Diese Kunden sind nicht nur anstrengend, sie sind schlicht und einfach die falschen Kunden.
Darum sollten Unternehmen Zielkunden wählen – und nicht umgekehrt
Wer kauft wird Kunde. Auch wenn Kunde und Anbieter eigentlich nicht gut zueinander passen. Kein Vertriebsmitarbeiter in einem Autohaus würde einem ganz offensichtlich zum Kauf entschlossenen Interessenten davon abraten, … Mehr lesenDie psychologische Last des „falschen Kunden”
Warum sind die falschen Kunden so gefährlich? Weil sie die Moral im Vertrieb wie nichts anderes zerstören. Ein Vertriebler, der seine Zeit mit einem Kunden verbringt, der sich weigert, Entscheidungen zu treffen, der ständig Nachlässe fordert oder sich über die kleinsten Details beschwert, erlebt eine ständige Abwertung seiner Arbeit.
Mit einem leeren Eimer Wasser schöpfen – so fühlt es sich an. Die Energie, die in diese Beziehungen fließt, ist immens, aber der Ertrag ist minimal. Aus psychologischer Sicht erleben diese Vertriebsmitarbeiter einen ständigen Wertekonflikt. Sie wissen, dass ihre Lösung einen echten Mehrwert bietet. Sie wissen, dass ihr Unternehmen qualitativ hochwertige Arbeit leistet.
Doch die Verhandlungssituation zwingt sie, ihre eigenen Werte zu verraten, indem sie um jeden Preis verhandeln müssen oder unfaire Forderungen akzeptieren.
Das führt zu einer inneren Kündigung, die viel gefährlicher ist als eine auf dem Papier. Die Motivation, die Leidenschaft und der Stolz auf das eigene Produkt schwinden. Der Vertriebler wird zum Auftragsabwickler und die Kundenbeziehung zur reinen Transaktion.
Das Gegenteil ist der Fall, wenn ein Vertriebler einen Kunden gewinnt, der seine Vision teilt, der das Produkt versteht und der die Partnerschaft auf Augenhöhe pflegt. Diese Kundenbeziehungen sind motivierend, sie geben Bestätigung und erneuern das Gefühl von Sinnhaftigkeit in der täglichen Arbeit. Die psychologische Belohnung, die daraus resultiert, ist unbezahlbar und führt zu einer nachhaltigen Performance.
Der finanzielle und operative Schaden falscher Kundenauswahl
Die Auswirkungen der Beliebigkeit im Vertrieb sind jedoch nicht nur psychologischer Natur. Sie sind auch messbar in den Geschäftszahlen. Wenn der Vertriebsmitarbeiter gezwungen ist, anspruchsvolle, aber wenig profitable Kunden zu betreuen, fehlen Zeit und Ressourcen für die Akquise von profitablen Kunden.
Der gesamte Vertriebstrichter verlangsamt sich. Die Pipeline füllt sich mit qualitativ minderwertigen Leads, was wiederum die Abschlussraten senkt. Die Kosten für die Kundenbetreuung steigen, weil diese Kunden tendenziell mehr Support benötigen und unzufriedener sind.
Ein klassisches Beispiel aus der IT: Ein Softwareunternehmen, das eine komplexe Enterprise-Lösung anbietet, versucht, einen Kunden zu gewinnen, der eigentlich nur eine einfache, kostengünstige Standardlösung benötigt. Um den Deal zu gewinnen, werden massive Rabatte gewährt und individuelle Anpassungen versprochen, die im Nachhinein enorme Ressourcen binden.
Das Ergebnis: Die Marge schrumpft, die Entwickler werden von der Produktentwicklung abgezogen, um an dieser individuellen Lösung zu arbeiten, und der Kunde bleibt trotz der Kompromisse unzufrieden, weil er die falsche Lösung gekauft hat. Dieser eine „schlechte” Kunde kann die Profitabilität einer ganzen Produktlinie gefährden.
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Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln ist Aufgabe des strategischen Managements und die Umsetzung Aufgabe des Vertriebs. Ist diese strikte Trennung noch zeitgemäß? Mehr lesenDer Weg aus der Kundenfalle: Ein strategischer Selektionsprozess
Der Weg aus dieser Falle führt über eine bewusste Neuprogrammierung des Vertriebs. Es geht darum, vom Prinzip „jeden nehmen, der kommt” zu einer gezielten Strategie zu wechseln, die auf psychologischer Einsicht und operativer Klarheit basiert.
1 Das Mindset im Vertrieb ändern: Vom Bittsteller zum Berater
Der erste und wichtigste Schritt ist die mentale Transformation des Vertriebs. Der Verkäufer muss aufhören, sich als Bittsteller zu sehen, der einen Auftrag ergattern muss. Er muss sich als Experte und Berater positionieren, der dem Kunden hilft, das richtige Problem zu lösen. Diese Haltung gibt ihm die mentale Stärke, einen Lead zu disqualifizieren, wenn er nicht passt. Er verkauft nicht aus einer Position der Not, sondern aus einer Position der Stärke. Das ist die Grundlage für jede erfolgreiche Qualifizierung.
2 Der Qualifizierungs-Katalog: Was ist ein idealer Kunde?
Jedes Vertriebsteam braucht einen klaren, internen Qualifizierungs-Katalog. Dieser geht weit über die typischen BANT (Budget, Authority, Need, Timeline) Fragen hinaus. Er muss die psychologischen und kulturellen Aspekte berücksichtigen:
- Haltung: Welche Werte teilt der Kunde? Legt er Wert auf Partnerschaft, oder geht es ihm nur um den Preis?
- Entscheidungsfindung: Wie transparent und klar ist der Entscheidungsprozess? Gibt es offene Diskussionen oder wird der Vertrieb als reiner Dienstleister behandelt?
- Problembewusstsein: Erkennt der Kunde sein Problem und ist er bereit, in eine nachhaltige Lösung zu investieren, oder sucht er nur einen schnellen Fix, der nichts kostet?
- Fit für die Zukunft: Passt der Kunde in die strategische Ausrichtung unseres Unternehmens? Blockiert er unsere Weiterentwicklung, indem er ständig individuelle Anpassungen fordert, die nicht in die Produkt-Roadmap passen?
- Neuroprofiling ®: Welche Motive soll unser Kunde verfolgen und dann die gesamte Sprache und das Tun auf diese Zielgruppe ausrichten
Diese Fragen müssen von Anfang an mutig und respektvoll gestellt werden. Ein Vertriebsmitarbeiter, der dies von seinem Vorgesetzten und dem Unternehmen als Haltung vorgelebt bekommt, wird diese Fragen als normalen Teil des Prozesses ansehen.
3 Das Handwerk der Diskqualifizierung: Nein sagen!
Das Handwerk der selektiven Kundenakquise beinhaltet auch die Fähigkeit, professionell und ohne Schuldgefühle „Nein” zu sagen. Dies ist ein entscheidender Schritt, der oft vernachlässigt wird. Ein klares, begründetes „Nein” spart beiden Seiten Zeit und Energie.
Ein Beispiel: Ein potenzieller Kunde fordert massive Rabatte auf ein hochwertiges Beratungsangebot. Anstatt in die Rabattschlacht zu gehen, könnte der Vertriebler sagen: „Ich verstehe Ihr Bedürfnis nach einem geringeren Preis.
Aus meiner Erfahrung wissen wir jedoch, dass unsere Leistungen eine bestimmte Wertigkeit haben, die wir nicht unterbieten wollen, ohne Abstriche bei der Qualität zu machen. Da Sie offensichtlich ein sehr preissensibler Kunde sind, passen wir möglicherweise nicht zueinander. Ich möchte Ihnen die Zeit ersparen, eine Lösung zu verfolgen, die nicht Ihren Budgetanforderungen entspricht.”
Diese ehrliche, respektvolle Art der Disqualifizierung stärkt die Position des Vertrieblers. Sie zeigt Haltung und beweist, dass das Unternehmen von seinem Wert überzeugt ist. Die Kunden, die den Wert schätzen, werden diese Haltung respektieren.
Fazit des Experten
Weniger Kunde ist oft mehr
In der heutigen komplexen Vertriebswelt ist der Fokus auf die richtigen Kunden keine Option, sondern eine absolute Notwendigkeit. Die Zeit des Verkaufs an jedermann ist vorbei. Die Folgen dieser Beliebigkeit sind Demotivation in den Teams, sinkende Margen und eine strategische Unklarheit, die die Marke schwächt.
Der Weg zu nachhaltigem Erfolg führt über einen psychologisch fundierten, strategischen Auswahlprozess. Indem Sie Ihre Wunschkunden klar definieren, Ihre Vertriebsmitarbeiter mental stärken und den Mut zur Disqualifizierung entwickeln, legen Sie das Fundament für eine profitable und motivierte Vertriebsorganisation. Es geht nicht darum, weniger zu verkaufen, sondern darum, besser zu verkaufen und an Kunden, die wirklich passen. Die Qualität der Kundenbeziehung beginnt lange vor dem ersten Vertrag – sie beginnt mit der bewussten Auswahl.



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