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Herr Sieck, welche Kriterien machen grundsätzlich Sinn bei der Bewertung von Kunden? Ist das von Kunde zu Kunde individuell?
HS: Das adressierbare „Umsatzpotenzial“ ist ein klares Muss. Die einzige Ausnahme bilden die sogenannten strategischen Referenzkunden, die auch bei kleinen Umsätzen einen großen Wert für ein Unternehmen darstellen können. Alle anderen Kriterien hängen sehr stark von der Unternehmensstrategie ab. Als Unternehmen sollte man sich fragen: Wo wollen wir 2015 bzw. 2020 stehen in Sachen Umsatz, Positionierung im Markt, Produkten etc? Mit welchen Kunden wollen wir diese Ziele erreichen? Daraus leiten sich dann die Kriterien ab.
Können Sie da ein Beispiel nennen?
HS: Nehmen wir mal an, ich würde mir als Ziel setzen, im Jahr 2020 80 Prozent meines Umsatzes nur noch mit Vorträgen zu generieren. Dann ergibt sich daraus das Kriterium „Kunde führt regelmäßig, mindestens einmal pro Jahr größere Veranstaltungen durch, zu denen externe Redner eingeladen werden“. Konsequenz: Viele meiner mittelständischen Kunden von heute, die ich heute sehr schätze, würden in der Bewertung abrutschen.
Als Zwischenfazit ist also die reine Betrachtung nach Umsatz im Vertrieb nicht zielführend.
HS: Nein. Das ist eine Vergangenheitsbetrachtung und in etwa so, als würde man beim Autofahren immer nur den Rückspiegel sehen.
Aber nur auf den Ertrag zu schauen bringt es auch nicht, oder?
HS: Das wäre aus meiner Sicht genauso falsch. Der Mix macht es aus. Wenn Sie nur den Ertrag sehen, fallen vielleicht die großen Kunden in der Bewertung nach hinten ab. Doch wer sorgt für die Auslastung der Produktion? Die erreiche ich nur durch Umsatz, nicht durch Gewinn.
Welche Systeme machen denn Sinn bei der Einstufung bzw. Bewertung von Kunden? Was sind die Vorteile, was die Nachteile?
HS: Es gibt die klassische A-B-C Einstufung nach Umsatz. Sie ist einfach, aber nicht empfehlenswert, da sie eben nicht zukunftsorientiert sind. Eine weitere Möglichkeit ist das BCG-Portfolio (benannt nach der Boston Consulting Group: sie soll den Zusammenhang zwischen Produktlebenszyklus und Kostenerfahrungskurve deutlich machen, Anm.d.Red.) Dabei wird das Ergebnis grafisch dargestellt. Wenn man die Kunden anschließend alle in der Grafik sieht, fällt es einem trotzdem schwer, eine Reihenfolge der Kunden herauszulesen. Die dritte Möglichkeit ist die Scoring Liste: Sie ermöglicht ein klares, einfaches Ranking der Kunden nach verschiedene Kriterien.
Analyse ist eine Sache, dann geht es an die Umsetzung: Warum tun sich manche Kunden so schwer, Konsequenzen aus der Analyse abzuleiten?
HS: Das ist eine gute Frage. Ohne Ableitungen ist die ganze Analyse ja schließlich für die Katz. Viele Unternehmen wollen es immer noch zu sehr jedem Kunden recht machen.
Wie lange kann man mit den Ergebnissen einer Analyse im Schnitt arbeiten? Schließlich wirken ja permanent Marktfaktoren von außen auf die Unternehmen ein.
HS:. Schwer zu sagen: In einem sehr stabilen Markt kann man auch mehrere Jahren gut mit einer einzigen Analyse auskommen. Beispiel: Ein Unternehmen verkauft seine Waren über Baumärkte. Die großen Player sind alle bekannt. Eine Bewertung alle drei Jahre durchzuführen ist sicherlich ausreichend. Ausnahme: Es gibt eine große Veränderung am Markt, ein einschneidendes Ereignis wie z.B. das Verschwinden von Praktiker aus dem Markt. Anders sieht es da bei neuen Märkten wie z.B. erneuerbaren Energien aus. Hier haben wir schon starke Veränderungen innerhalb eines Jahres. Unternehmen kommen neu dazu, andere schließen sich zusammen. In diesem Fall wäre es sicherlich sinnvoll, die Analyse einmal im Jahr, z.B. im Rahmen der Budgetdiskussionen, durchzuführen.
Herr Sieck, wir bedanken uns herzlich für das interessante Gespräch.
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