Lean Selling: Geschäfte mit schlankem Vertrieb, ohne Kunden zu verlieren

Im zunehmend harten Kampf um die lukrativen Top-Kunden im Key Account Management werden die weniger attraktiven Kunden oft stiefmütterlich behandelt. Es ist schön, wenn sie bleiben und keine Probleme machen, aber auch nicht schlimm, wenn sie gehen. Natürlich lässt sich diese Haltung als Strategie betreiben. Dennoch existieren mit Lean Selling spannende Möglichkeiten, um mit kleinen Kunden lukrative, weil effizient abgewickelte Geschäfte zu machen.

Lean Selling funktioniert gerade bei kleinen Kunden, wo persönlicher Verkauf zu teuer ist
Lean Selling funktioniert gerade bei kleinen Kunden, wo persönlicher Verkauf zu teuer ist© : Julien Eichinger/stock.adobe.com

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Amazon macht diese Strategie in fast einzigartiger Weise vor. Der Umfang des Angebots, der komfortable Kaufprozess und die problemlosen, hyperkulanten Rücknahmeregeln gewähren dem Kunden einen enormen Komfort und geben jedem das Gefühl, ein wertgeschätzter Partner zu sein. Man muss nur wenige Male beim Versandriesen kaufen, um sich auf der Website regelrecht heimisch zu fühlen. Dass es dabei kaum noch persönlichen Service gibt, registriert nur der, der wirklich einmal mailen oder sogar anrufen muss.

Warum Lean Selling?

Neben der Intention, mit kleinen Kunden gute Geschäfte zu machen, existieren weitere Gründe für Lean Selling. Einer ist die wachsende Preissensibilität: Wer es besonders günstig will, nimmt gerne Einschränkungen beim menschlichen Kontakt in Kauf. Andere wollen lieber in Eigenregie stöbern, vergleichen und irgendwann bestellen. Außerdem gibt es Kunden, die stets die gleichen Rohstoffe, Verbrauchsmaterialien oder andere Waren benötigen. Auch sie sind nicht auf permanente Betreuung angewiesen.

Nach Untersuchungen ist in allen Fällen der persönliche Verkauf der teuerste Weg zum Kunden und kann bis zu hundert Mal teurer sein als der Internetvertrieb. Zwischen diesen beiden Vertriebsformen liegen die Verkäufe über Callcenter (Tele-Sales) oder Distributionspartner, wie es etwa Handelsunternehmen sind, die natürlich auch einen Teil der Marge beanspruchen.

Wo der persönliche Vertrieb keinen oder nur geringen Mehrwert stiftet, müssen günstigere Kanäle gewählt werden – zumindest sofern der Kunde den zusätzlichen Service nicht zahlt. Entsprechend ist Lean Selling eine Option, die sich aus der Gewichtung der Kanäle nach deren Transaktionspreis ergibt. Klar ist, dass man in jedem Kanal möglichst viel Absatz bei möglichst geringen Kosten erzielen will, und dieses Verhältnis muss beim Lean Selling das erste Kriterium sein.

Die zwei Säulen des Lean Selling

Selbstverständlich kann nicht jedes Unternehmen so gigantisch wie Amazon werden und sich deren Kulanzgebaren organisatorisch und kalkulatorisch leisten. Das bedeutet aber nicht, dass mit Kleinkunden keine guten Geschäfte zu machen sind. Man muss es nur effizient anpacken. Lean Selling ist die strategische Variante dessen, was schon lange als Low-Cost-Distribution bekannt ist. Deren Durchbruch kam mit dem Beginn des Internetzeitalters und dem E-Commerce, und ihr Vormarsch wird durch die Digitalisierung und den Siegeszug der Künstlichen Intelligenz weiter beschleunigt.

Die unbedingten Voraussetzungen für ein effizientes Lean Selling sind einerseits ein leistungsfähiges CRM-System und andererseits eine Orientierung an der Customer Journey der Kunden, wobei der zweite Faktor entscheidend auf die Akzeptanz der Kunden einzahlt.

Die Customer Journey zielt darauf, den Kunden über alle Kontaktpunkte hinweg durch den Kaufprozess zu steuern und positiv zu stimulieren. Sogenannte „Painpoints“, also Kontaktpunkte, die Kritik hervorrufen, gilt es zu eliminieren. Hierzu gehören Dinge wie eine fehlende Personalisierung, der Versand von unpassenden Angeboten oder zu viel Werbung.

In zahlreichen Projekten zur Vertriebsoptimierung haben sich eine Reihe von Standardfragen herauskristallisiert, die eine Customer Journey auch im Lean Selling stützen.

Die wichtigsten Fragen zur Customer Journey beim Lean Selling

  • Wo erreichen wir den Kunden?
  • Wo können wir mit Marketing- und Vertriebsaktivitäten ansetzen?
  • Welche Kanäle besitzen wir zum Kunden, welche medialen und nicht-medialen Kontaktpunkte sind zu organisieren?
  • Wie sollte die Website oder der Shop für ein optimales Kundenerlebnis aufgebaut sein?
  • Welche Informationen wollen, können und müssen wir transportieren?
  • Wo kann der Kunde sich anmelden?
  • Wo kann der Kunde seine Adresse hinterlassen?
  • Wo kann er nachfragen?
  • Wie kann ich ihn nach dem Besuch der Website später über ein Tracking identifizieren?
  • Wie können wir über E-Mail interagieren?
  • Welche Dinge und Informationen können wir per E-Mail kommunizieren?
  • Was kann unser Callcenter leisten?
  • Was kann die Interaktion mit anderen Kunden leisten (Rezensionen, Bewertungen, Foren etc.)?
  • Legt der Kunde auf bestimmte Leistungen oder Eigenschaften überhaupt Wert?
  • Können wir über eine App den regelmäßigen Austausch mit dem Kunden sicherstellen?
  • Welche Rolle spielen Social Media während des Prozesses?
  • Welche Rolle kommt einem E-Shop zu?
  • Welche Rolle spielt dabei Inside Sales, und von wo aus wird er gemacht?

Wie diese Liste demonstriert, wird der Kunde so weit wie möglich „kontrolliert“ durch ein effizientes, qualitätsgesichertes und frustrationsfreies Kauf- und Produkterlebnis geführt, während zugleich die Kosten im Griff behalten werden. Genau das ist die Grundidee des Lean Selling.

Kunden zum Lean Selling führen, ohne sie zu verlieren

Der Umstieg auf profitables Lean Selling führt fast zwangsläufig zu Irritationen bei den angestammten Kunden, die durchaus berechtigt eine Einschränkung der persönlichen Betreuung befürchten. Um diese Kunden zu halten, ist es empfohlen, die Umwandlung schrittweise durchzuführen und mit einer Kommunikationsstrategie zu begleiten, die auf die Vorteile des neuen Verfahrens fokussiert. Der Kunde soll das Gefühl bekommen, eigenständiger handeln und dafür auch noch billiger einkaufen zu können. Er hat alles selbst in der Hand, spart Geld und Zeit und hat sogar noch Spaß daran, die neuen Möglichkeiten zu erkunden und zu nutzen.

Ein gutes Beispiel für dieses Vorgehen liefern die großen Fluggesellschaften, die ihre Gäste nach und nach zum Lean Selling „erzogen“ haben. Nachdem sie die Buchung übers Internet etabliert hatten, strichen sie den Reisebüros nach und nach die Provisionen. Weil diese künftig eine Servicegebühr erheben mussten, wurden die Nettopreise der Flüge im Web billiger und der Weg zur Direktbuchung attraktiver. Exklusiv im Internet buchbare Tarife taten ihr Übriges. Nach und nach wurde in der Economy-Class und bei Sondertarifen der Service reduziert. Es gab kein Essen und keine Getränke mehr und die Papiertickets wurden abgeschafft, was auch bedeutete, dass der Kunde seine Bordkarten selber drucken oder auf dem Smartphone mitbringen, für Platzreservierung und Mehrgepäck zahlen und für eigene Kofferanhänger sorgen musste.

Mit Lean Selling erfolgreich Geschäfte machen

Heute ist all das für die Reisenden nicht nur normal geworden – sie glauben auch fest daran, dass dies alles zum Vorteil besserer Preise und höherer Selbstbestimmung für sie ist. Dass sie dies annehmen, verdankt sich einerseits kluger Kommunikation, andererseits einer ausgefeilten Technik mit immer mehr Automatisierung, die sich in Airline-Apps, Self-Service-Check-in-Automaten und intelligenten Gepäcktransportsystemen manifestiert.

Was im Fluggeschäft funktioniert hat, geht fast überall – auch da, wo man glaubt, dass die Kunden nicht mitspielen würden. Wenn man es aber geschickt anstellt und zugleich Lösungen im Köcher hat, die tatsächlich effizient und schlank für beide Partner sind, kann man sicher sein, mit Lean Selling gute Geschäfte zu machen.

Prof. Dr. Dirk Zupancic

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