Neuroselling – Was der Vertrieb über das menschliche Gehirn wissen sollte

Durch Neuromarketing kann man mithilfe von medizinischen Instrumenten erforschen, wie Entscheidungen im Gehirn ablaufen. Zu wissen, was im Kopf des Kunden vorgeht, trägt zu seiner besseren Erreichbarkeit bei. Wir alle glauben, dass wir prinzipiell vernünftig und bewusst entscheiden – doch die Gehirnforschung widerlegt dies.

Alles was keine Emotionen auslöst ist für unser Gehirn wertlos
Alles was keine Emotionen auslöst ist für unser Gehirn wertlos© metamorworks/stock.adobe.com

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Der Diplompsychologe und Experte für Marketing-Hirnforschung Dr. Hans-Georg Häusel berichtet von den neuesten Forschungsergebnissen.

70 – 80% unserer Denkprozesse laufen unbewusst ab. Die restlichen 20% bilden unser Emotionsprogramm. Seit 70.000 Jahren hat sich das Gehirn nicht weiter entwickelt, es hat lediglich kulturelle Entwicklungen durchgemacht, keine strukturellen. Den ältesten Teil unseres Gehirns bilden die Emotionen. Emotionen sind die Kräfte, die uns antreiben, die Mechanismen, die uns sagen was gut und was schlecht für uns ist. Sie verändern unseren Körperzustand und unseren Gesichtsausdruck wenn wir im Stress sind, Angst haben oder Freude empfinden. Und am Ende dringen Sie in Form von Gefühlen in unser Bewusstsein.

Die Emotionssysteme im Gehirn

Das Balancesystem

Das wichtigste der drei ist das Balancesystem. Es sorgt für Sicherheit, Gewohnheit und Stabilität. Faktoren, die das Balancesystem befriedigen sind zum Beispiel Schlaf, Nahrung und Sex. Lebensversicherungen, Wohnen und Wohnzubehör oder auch Reinigungsmittel schaffen Ordnung und geben Sicherheit und sind somit Produkte, die unser Balancegefühl unterstützen.

Das Dominanzsystem

Das zweitwichtigste große System im Gehirn ist das Stimulanz- oder Neugiersystem. Es sorgt für Entdeckung, Risikobereitschaft, Abenteuer und ist der Grund, warum man fremde Länder besucht und dem Drang nach Neuem nachgibt. Produkte die unser Stimulanzsystem befriedigen sind zum Beispiel Mode, Sportartikel oder Genussmittel.

Das Stimulanzsystem

Das dritte System, das es zu befriedigen gilt, ist das Dominanzsystem, unser Machtbedürfnis. Das Bedürfnis sich durchzusetzen, der Drang danach Ziele zu erreichen, nach sozialem Vergleich, Konkurrenz, Verdrängung und der Wunsch Karriere zu machen. Produkte, die unseren Status unterstreichen, wie zum Beispiel ein schönes Autos, echter Schmuck oder eine teure Uhr, befriedigen dieses Dominanzsystem.
Sowohl das Dominanzsystem als auch das Stimulanzsystem erfordern Risikobereitschaft. Das Balancesystem bildet dazu den Ausgleich. Alle Menschen besitzen alle Emotionssysteme aber nicht in gleicher Ausprägung.

Häusel erklärte das Kaufverhalten der Kunden mit verschieden ausgeprägten Emotionssystemen anhand eines Autokaufs: Ein Kunde mit stärker ausgeprägtem Balancesystem stellt zuallererst Fragen zur Sicherheit. Eine Person mit ausgeprägtem Dominanzsystem wird sich eher nach der Kraft des Motors, der Breite der Reifen, dem Auspuffsystem, etc. erkundigen. Und ein Kunde mit ausgeprägtem Stimulanzsystem interessiert sich Innovationen, für die Neuigkeiten am Fahrzeug.

Generik von Produkten – Die Marke gewinnt

Marken haben laut Häusel eine feste Heimat im emotionalen Gehirn. Auch B2B Marken besitzen immer einen emotionalen Kern. Die drei Hauptmotive, bestimmte Produkte zu kaufen, sind das Individualitätsmotiv, das Statusmotiv und das Zugehörigkeitsmotiv, “ so Häusel.

Die Frage, ob wenigstens Geld etwas Rationales sei, beantwortete Häusel so: „Mit Geld können wir alle drei Systeme befriedigen. Geld ist nichts Anderes als konzentrierte Lust in der Hosentasche, verbunden mit einer Zukunftsoption. Wenn man Geld in der Tasche hat, hat man immer Möglichkeiten für die Zukunft dabei. Beim Kauf eines Produktes wird ein Teil des Belohnungssystems aktiv. Beim Sichten des Preises werden aber die gleichen Systeme im Gehirn aktiv wie bei Zahnschmerzen. Die Trennung vom Geld ist für unser Gehirn ein schmerzhafter Prozess.“

Alles was keine Emotionen auslöst ist für unser Gehirn wert, – sinn und bedeutungslos

„Um Produkte aufzuwerten, müssen sie also emotionalisiert werden. Das führt zu einer Wertsteigerung von bis zu 700%. Zuerst kreiert man die Marke, dann lädt man sie durch emotionale Werbung auf, also bringt das Produkt in eine schöne Umgebung, erzählt eine nette Geschichte über die Herkunft, bietet guten Service dazu und schon erzielt man einen höheren Preis fürs Produkt.“

Man muss sich also immer die Frage stellen, was man für jeden einzelnen Kundenberührungspunkt, wie den Verkaufsräumen, Websites oder den Produkten selbst, etc. tun kann um positive Emotionen auszulösen und negative zu vermeiden. Wenn man diese Strategie konsequent verfolgt, hat man einen deutlichen Vorsprung am Markt, “ so Häusel.

Er erklärt das anhand der Kaffeepreise bei Starbucks. Eigentlich hat eine Tasse Kaffee einen Materialwert von nur einem Cent. Starbucks verkauft die Tasse aber erfolgreich zu 3,50 Euro, weil ein bestimmtes Lebensgefühl mitgeliefert wird. Auch der Einfluss von Farben, Gerüchen und akustischen Erlebnissen auf unser Gehirn ist nicht zu unterschätzen. Diese Faktoren haben eine enorme Wirkung, oft sogar ohne dass wir sie bewusst wahrnehmen.

Das Bauchgefühl entscheidet

Im Unbewussten sind alle biologischen Prozesse inklusive unserer Emotionen und unserer kulturellen und individuellen Erfahrungen gespeichert. Deren Abruf nennen wir „Bauchgefühl“.

Bewusstes Denken kostet viel Energie, deshalb versucht unser Gehirn das Denken möglichst zu vermeiden. Das Eigengewicht des Gehirns beträgt nur 2 Prozent des Körpergewichts, dennoch benötigen wir 20 Prozent der Energie zum Denken. Das bewusste Denken schafft aber in der Sekunde nur 40-60 Bits, das unbewusste 11 Millionen.

Man muss im Vertrieb also lernen aus der Sicht des Gehirns zu denken, das Bauchgefühl des Kunden anzusprechen und ihm alles so einfach wie möglich zu machen. Im Verkaufsgespräch zum Beispiel gibt ein Kunde den man auf einem unbequemen Stuhl sitzen lässt weniger gerne nach als eine Person der man es angenehm und bequem macht.

Nur eine Botschaft, die alle drei Grundmodalitäten unseres Gehirns, ein Objekt zu erkennen, möglichst bildlich und emotional zu bewerten und dann zu handeln, direkt erreicht, wird verstanden. Mit trockenen Fakten erreicht man beim Gehirn gar nichts wenn nicht auch eine emotionale Komponente, eine Portion Gefühl in Form eines schönen Bildes, einer ansprechenden Beschreibung oder einer schönen Hintergrundgeschichte, geboten wird.

„Gute Stimmung öffnet das Gehirn für Verkaufsargumente, schlechte Stimmung schließt es. Wenn die Stimmung im Keller ist, bleibt der Geldbeutel zu,“ so Häusel.

Bei einem Versuch, in dem zwei Gruppen von Probanden für das gleiche Getränk nach eigenem Ermessen Geld anbieten durften, bot die eine Gruppe nur durchschnittlich 10 Cent, die andere 38. Was geschah? Man hatte zuvor beiden Gruppen subliminale Botschaften vorgespielt, zwei verschiedene Gesichter. Einen mürrischen Boxer für die eine Gruppe und eine freundliche Frau für die andere. Das wichtigste Signal für unser Gehirn ist das menschliche Gesicht. Da das Gesicht der Frau gute Stimmung verbreitete, wurde das Getränk im Empfinden der Probanden der großzügigeren Gruppe deutlich aufgewertet.

Derselbe Grund, weshalb sich zwei Kaffeemaschinen derselben Marke unterschiedlich gut verkauften. Die eine sah aus als ob sie lächelte, die andere wirkte zornig. Ein Beweis dafür, dass selbst imitierte menschliche Gesichter ihre Wirkung auf uns haben.

Und trotz allem, denken wir immer noch, wir würden unsere Entscheidungen völlig eigenverantwortlich und unbeeinflusst treffen… .

Dr. Häusel

Zur Person

Dr. Hans-Georg Häusel ist Vorstand der Gruppe Nymphenburg Consult AG ist Diplompsychologe und Bestsellerautor. In der Marketing-Hirnforschung und ihrer Übertragung auf Fragen des Konsumverhaltens, zählt er zu den weltweit führenden Experten. Häusel unterrichtet an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich und berät zahlreiche internationale Großunternehmen.

 

Dr. Lydia Polwin-Plass

2 Kommentare zu “Neuroselling – Was der Vertrieb über das menschliche Gehirn wissen sollte

  1. Ann-Kathrin Thiele

    Interessanter Artikel, nur schade, dass unter ?Dominanzssystem? die Inhalte zum Stimulanzsystem stehen, und umgekehrt. Sonst hätte ich den Artikel gerne für meine wissenschaftliche Arbeit genutzt.

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