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Viele Unternehmen und ihre Vertriebsteams habe in diesen Tagen deutlich weniger Kontakt zu ihren Kunden als sonst. Der Dienstwagen bleibt in der Garage. Man versucht so gut wie möglich im Gespräch zu bleiben, hält aber Distanz.
Diese erzwungene Entschleunigung ist eine gute Gelegenheit, seine Kunden mal mit ein wenig Ruhe aus der Entfernung zu betrachten, um den Partner und die Beziehung zu ihm zu überdenken, und die eigene Vertriebsstrategie einer kritischen Revision zu unterziehen. Pausen bieten die Chance zur Besinnung, was nichts anderes ist, als zu hinterfragen, inwieweit das, was man macht, sinnvoll ist, Defizite aufweist und dann gegebenenfalls Korrekturen vornehmen.
Zeit also, um den Vertrieb neu zu erden. Da Veränderungen und Verbesserungen der Vertriebsstrategie nicht mit Antworten, sondern Fragen beginnen, werden in diesem Artikel nicht die 7 Tricks zum vertrieblichen Erfolg und auch nicht die 5 Schritte zum glücklichen Kunden verraten. Es ist eine kleine Checkliste mit sehr grundsätzlichen Fragen, die viel zu selten im Hamsterrad der täglichen Zielerreichungsjagd gestellt werden.
Was ist eigentlich Kundenorientierung?
Beginnen wir mit einem vertrieblichen Lieblingsthema. Natürlich sollte eine Vertriebsorganisation kundenorientiert sein. Der Begriff wirft jedoch einige Probleme auf, denn Kundenorientierung hat viele Ausdrucksformen. Gemeinhin wird Kundenorientierung mit der Haltung eines Unternehmens verbunden, sich konsequent an den Wünschen und Erwartungen von Kunden auszurichten: Das „Kunde ist König“-Model. Aber Kundenorientierung neutraler betrachtet, bedeutet zunächst einmal nur, dass Unternehmen sich umfassend mit ihren Kunden beschäftigen, sie in Bezug auf unterschiedliche Kriterien segmentieren und für das Unternehmen bewerten.
Kundenorientierung kann daher auch bedeuten, dass man sich um bestimmte Kunden nicht mehr intensiv kümmert, dass es unterschiedliche Serviceangebote gibt und auch, dass ausgewählte Zielkunden mit sehr offensiven und abschlussorientierten Verkaufstechniken bearbeitet werden.
Das kann dazu führen, dass ein Unternehmen von externen Beobachtern aufgrund seiner Vertriebspraxis als wenig kundenorientiert beurteilt wird, aber damit sehr erfolgreich agiert, was wiederum ein Beleg dafür ist, wie kundenorientiert tatsächlich vorgegangen wird.
Der Begriff Kundenorientierung transportiert häufig eine qualitative Aussage zum Service und zum Wohlfühlfaktor für Kunden. Im Kern geht es jedoch um die konsequente Ausrichtung von Vertriebsaktivitäten auf das Einkaufsverhalten der Kunden in Kombination mit einem vertriebseigenen Kosten-Nutzen-Kalkül.
Kundenorientierung muss in der praktischen Umsetzung fast zwangsläufig von Kundensegment zu Kundensegment variieren. Unternehmen sollten daher ein differenziertes Verständnis davon haben, was sie unter Kundenorientierung verstehen. Und sie sollten sich klar machen, dass Kundenorientierung immer zwei Seiten hat. Was kann und sollte das Unternehmen dem Kunden für sein Problem anbieten? Und was bietet der Kunde langfristig dem Unternehmen? Viele Vertriebe arbeiten, ohne diese beiden Fragend der Vertriebsstrategie sauber beantwortet zu haben.
Vertriebsstrategie: Wie wählerisch ist der Vertrieb bei seinen Kunden?
Wachstums- und Zielerreichungsdruck führt leicht zu inkonsequentem und übereifrigem Verhalten, wodurch ein klares Zielkundenverständnis verloren gegangen ist. Die Herausforderung für den Vertrieb ist es, wählerisch zu sein und im kritischen Auswahlprozess der Kunden als der Beste identifiziert zu werden: Der Passende nach Maßgabe der ausschlaggebenden Entscheidungskriterien des Kunden.
Jetzt gibt es als Vertriebsstrategie zwei Herangehensweisen, um dieser Herausforderung zu begegnen: Der Versuch, sich passend zu machen. Oder gezielt potenzielle Kunden zu suchen, bei denen es sehr wahrscheinlich ist, dass Nachfrage und Angebot, Problem und Lösung sehr gut zueinander passen und sich sehr selektiv speziell um diese Idealkunden zu kümmern.
Der Weg, sich passend zu machen, ist zwangsläufig weniger erfolgsversprechend und weniger rentabel, gerade in der langfristigen Betrachtung. Der Überzeugungsweg ist länger, die Preisverhandlungen tendenziell schwieriger, die Zufriedenheit des Kunden geringer und die Entstehung einer langfristigen Beziehung mit Folgekäufen unwahrscheinlicher. Einfach, weil es nicht optimal passt und Kunden daher offen sind für andere Anbieter. Das schlägt einen Bogen zur Kundenorientierung:
Besser hohe Relevanz für wenige Zielkunden als Bedeutungslosigkeit und Vergleichbarkeit für die Masse. Ein Unternehmen kann sehr erfolgreich sein mit einer kleinen, sehr treuen Stammkundenbasis, also einer Fangemeinde, deren Bedürfnisse perfekt befriedigt werden.
Die Gründe für eine enge Verbindung zu Stammkunden müssen jedoch verstanden werden:
- Was macht ein Produkt bedeutungsvoll und nützlich?
- Womit kann Vertrieb eine positive Resonanz und Wirkung beim Kunden auslösen?
- Was macht den Unterschied für Kunden und gibt ihnen das Gefühl, dass es passt?
- Wie können potenzielle Kunden identifiziert werden, bei denen die gleiche Reaktion zu erwarten ist?
Die Antworten auf diese Fragen sind das Erfolgswissen eines Vertriebs und die unverzichtbare Grundlage einer kundenorientierten Vertriebsstrategie. Das Gegenteil von Kundenorientierung ist es, durchschnittliche Produkte für durchschnittliche Kunden eines undefinierten Massenmarktes anzubieten. Wie viele Unternehmen sind genauso wählerisch wie ihre treuesten Kunden? Es ist sinnvoll, den Kundenfokus regelmäßig zu prüfen und zu schärfen.
Was, wenn Kunden nicht für den Vertrieb bezahlen?
Es ist derzeit eine interessante Dynamik zwischen Kunden und Unternehmen zu beobachten, was die Kundenakzeptanz und das Design von Vertriebsorganisationen betrifft. Unternehmen haben begonnen, Verkaufsprozesse zu digitalisieren. Kunden haben diesen Trend verstärkt und drängen den persönlichen Vertrieb zunehmend aus ihrem Kaufentscheidungsprozess, in dem sie die neuen, ihnen gebotenen digitalen Kontaktpunkte nutzen.
Unternehmen reagieren darauf wiederum mit weiteren Automatisierungsinnovationen ihrer Vertriebsprozesse, und nutzen die immer neuen technischen Möglichkeiten. Kunden und Unternehmen befinden sich in einer Digitalisierungsspirale. Einkaufsprozesse werden in allen Branchen anonymer und standardisierter.
Zwar heißt es gemeinhin, mit der Automatisierung von aufwändigen administrativen und vertrieblichen Routinetätigkeiten würden Vertriebsmitarbeiter entlastet, um mehr Zeit für die direkte Kundenakquise und –betreuung zu erhalten. Aber ist das perspektivisch überhaupt das zentrale Problem des Vertriebs? Kunden verlangen diese Mehrzeit häufig gar nicht mehr. Wann klagen Kunden darüber, wie schwer es ist, Termine mit Vertriebsmitarbeitern zu bekommen? Die Herausforderung liegt im Gegenteil darin, dass sich der persönliche Vertrieb neu aufstellen muss, um die Akzeptanz der Kunden zurückzugewinnen.
Vertrieb sollte als Mehrwertleistung betrachtet werden, als eigenes Produkt, das für die Zielkunden wichtige Zusatznutzen stiftet. Die Vertriebsleistung kann digital oder persönlich erbracht werden, im Standardpaket oder als hochwertige Beratung, über einen Chatbot oder ein persönliches Gespräch.
Entscheidend ist auch bei der Vertriebsgestaltung und dem Einsatz digitaler Vertriebsinstrumente die Frage, was sich für welche Kunden und das Unternehmen lohnt.
Im B2B-Markt hat der persönliche Vertrieb mit hoher Problemlösungskompetenz noch lange nicht ausgedient. Das gilt speziell für komplexe und investitionsintensive Produkte und bei Unternehmen, die sich vom Produktanbieter zum Dienstleister entwickelt haben. Kunden müssen jedoch mit einem hochwertigen „Vertriebsprodukt“ überzeigt und gewonnen werden.
Für den klassischen Verkäufer sind Kunden immer weniger bereit zu zahlen, weil sie ihn immer weniger benötigen. Aber natürlich gibt es auch Branchen und Branchensegmente, wie z. B. die Telekommunikationsanbieter – in denen sich das Kosten-Digitalisierungs-Rad schon so weit gedreht und sich das Niveau der Kundenbetreuungsqualität generell stark gesenkt hat, dass vertrieblichen Ausgaben enge Grenzen gesetzt werden und die Flucht in die weitere Automatisierung angetreten wird.
Mit einem Online-Shop, Erklärvideos, digitalen Fragen und Antwortkatalogen und Chatbots wird man nicht unbedingt Preise für Kundenzufriedenheit erhalten, aber es hilft möglicherweise, die Kosten zu senken, preislich wettbewerbsfähig zu bleiben und dennoch eine im Erwartungshorizont der Kunden liegende Vertriebsinfrastruktur zu bieten.
Spannender als diese Anpassungsstrategie ist jedoch die Suche nach speziellen Kundensegmenten, die Interesse an speziellen auf sie zugeschnittenen Leistungen haben und einen Mehrwert in kompetenter Betreuung und Beratung sehen und dafür auch bereit sind, zu zahlen. Dann wird Vertrieb für Kunden zum attraktiven Produkt und Alleinstellungsmerkmal. Auch hier ist es wieder die Frage nach der Marktpositionierung und der Kundenorientierung, die über das optimale Vertriebsdesign entscheidet.
Viele Unternehmen gehen bei der Vertriebsstrategie einen unklaren Weg, halten an alten Strukturen fest und ergänzen diese um neue, digitale Elemente, ohne sich wirklich konsequent auf ihre Zielkunden auszurichten, und Vertrieb als Mehrwertfaktor entsprechend weiterzuentwickeln. In gleicher Weise ist es wichtig zu erkennen und darauf zu verzichten, was im Vertrieb keinen Nutzen für Kunden bringt.
Welche Vertriebskompetenzen fehlen?
Probleme entstehen häufig, weil Kompetenzen fehlen und dies von den zuständigen Managern nicht erkannt wird. Vertriebsarbeit wird immer komplexer, aber das spiegelt sich selten in der Personalstruktur wider. Es werden nicht mehr die Starverkäufer mit einem sehr engen wie weiten Kontaktnetzwerk gesucht. Diese Einzelkämpfer sind das Symbol einer vergangenen Vertriebsepoche.
Die Zahl der Erfolgsfaktoren einer Vertriebsaktivität hat sich vervielfacht:
- Das Vertriebsdesign
- die Zusammenarbeit von Mitarbeitern auch über Abteilungsgrenzen hinweg
- der Einsatz digitaler Instrumente und das Zusammenspiel von analogem und digitalem Vertrieb
- die Verbindung von Vertrieb und Marketing
- die Erstellung und Bereitstellung passgenauer Inhalte zur Unterstützung von Kundenentscheidungsprozessen
- die Schaffung einer umfassenden Kundendatenbasis und deren systematische Nutzung (auch mit künstlicher Intelligenz)
- und nicht zuletzt die auf genaue Markt- und Kundenkenntnissen basierende Vertriebsstrategie.
Und es gilt auch hier: das schwächste Glied bestimmt die Stärke der Kette. Das stellt auch andere Anforderungen an Vertriebsleiter, die vorrangig strategische Denker, Organisations- und Mitarbeiterentwickler sein müssen, die ein anpassungsfähiges Arbeitsumfeld für ein interdisziplinäres Team schaffen.
Der klassische Verkäufer wird nur noch eine Rolle unter sehr vielen sein und immer weniger zu finden sein. Genauso wie der Verkäufer mit der schillerndsten Zielerreichungshistorie keineswegs der erste Kandidat für eine Leitungsfunktion sein sollte. Vertriebserfolge in der Vergangenheit waren noch nie das geeignete Rekrutierungskriterium für eine Führungsfunktion. Im modernen Vertrieb gilt das umso mehr.
In den meisten Vertriebsorganisationen ist eine systematische Kompetenzinventur überfällig, die nicht nur die Vertriebskompetenzen einzelner Mitarbeiter betrachtet, sondern das Kompetenzprofil auf Organisationsebene. Erfolgreicher Vertrieb benötigt vielfältige personelle Expertise, die dann in der Regel auch die Voraussetzung dafür ist, dass Digitalisierungsprojekte gelingen und die Vertriebsstrategie greifen kann.
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