View: 2.225 Kommentieren: 0
Verkaufen ist immer häufiger ein Kraftakt: wie Vertriebler dem Stress entkommen
Volker ist Verkäufer im Consumer-Bereich durch und durch. Der 55-Jährige liebt seine Produkte und sein Marktgebiet umfasst im Wesentlichen Baden-Württemberg, wo er vor allem große Händler und Filialisten betreut. Über Jahre hatte er zweistellige Zuwachszahlen, doch mittlerweile ist der Markt gesättigt und Mitbewerber holen sich mit Innovationen und Rabatten Marktanteile zurück. In dieser Situation arbeiten Volkers Vorgesetzte mit Druck: Sie erwarten für das nächste Jahr erneut ein Umsatzplus von zehn Prozent von ihm, unterstellen ihm Trägheit und drohen mit Einbußen bei Prämien, Grundgehalt und Dienstwagen.
Markt wird schwierig, Chef reagiert mit Leistungsdruck im Vertrieb
„In dieser Situation kam der Mann zu mir“, sagt Leonhard Fromm. Der Schorndorfer Coach, der seit einer vierjährigen, nebenberuflichen Ausbildung zum Gestalttherapeuten im Business-Umfeld arbeitet, war ihm empfohlen worden, nachdem er über Schlafstörungen, Existenzängste und Selbstzweifel geklagt hatte. „Das Beispiel zeigt, dass Leistungsdruck im Vertrieb keine Lösung ist und zeugt vom Unvermögen vieler Führungskräfte, motivierend zu führen“, sagt der 56-Jährige.
Mit Volker leuchtete er zunächst dessen Biographie aus, die von Loyalität und Pflichtgefühl geprägt ist. Nicht zu befolgen, was Autoritäten wie Vater, Lehrer oder Chefs sagen, galt ihm ungeprüft als Verrat. Hinzu kam, dass der Verkäufer trotz seines selbstbewussten Auftretens einen nur geringen Selbstwert hatte, der sich nur über Erfolge im Außen kurzfristig verbesserte. Fromm erarbeitete mit ihm also, worauf er noch stolz sein kann: Seine attraktive Frau, die ihn liebt; seine Söhne, die erfolgreich im Beruf stehen und ihn sehr respektieren; seine Freunde; Krisen, die er gemeistert hat; sein abbezahltes Haus; seine handwerklichen Fertigkeiten.
Konzentration auf Positives im Leben, Kritik abprallen lassen
Der Therapeut: „Wir machen oft den Fehler, uns auf das Berufliche zu reduzieren und sind dann komplett abhängig von dem, was dort ganz aktuell passiert.“ Mit dem verbesserten Selbstwert weitete sich Volkers Blick. Ihm wurde bewusst, dass auch Kollegen schon Ziele nicht erreicht hatten ohne sanktioniert zu werden. Dass er auch mit Mindereinnahmen noch ein gutes Einkommen hätte und dies nicht persönlich nehmen müsse, weil er sich faktisch keine Fehler im Vertrieb vorzuwerfen wusste, die er hätte korrigieren können oder müssen.
Aus dieser Sicht setzen dem Schwaben Mails und Bemerkungen seiner Vorgesetzten, die seine Leistungsbereitschaft fördern sollen, kaum mehr zu. Im Gegenteil bedauert er, dass diese Chefs offenbar an ihrer Stelle nicht so professionell sind wie er an seiner. Die Folge: Er schläft wieder deutlich besser, hat seinen Humor wiedergefunden und ist selbstbewusster und souveräner geworden.
Positive Einstellung merken auch die Kunden
Das spiegeln ihm auch Kunden, die ihrerseits – bedrängt durch den Onlinehandel und sinkende Umsätze und Margen – große Sorgen haben. Der Austausch mit ihm sei für sie jedes Mal ein Gewinn, seine Sichtweisen und Fröhlichkeit täten ihnen gut und seine fachliche Beratung sei ohnehin exzellent. Vereinzelt hat diese persönliche Sympathie dazu geführt, dass Volkers Produkte in den Verkaufsräumen mehr und besser frequentierte Flächen bekommen als zuvor.
Der Coach: „Volker hat sogar den Eindruck, dass ihn seine Vorgesetzten zunehmend in Ruhe arbeiten lassen, weil er auf ihre Angriffe nicht mehr anspringt.“
Für Vertriebsmitarbeiter, die massiv unter Druck stehen und täglich mit vielen beruflichen Niederlagen umgehen müssen, hat er den Tipp, sich täglich selbst folgende Fragen zu stellen, um nicht in den Mangel zu rutschen und sich als minderwertig zu empfinden:
- Was macht mein Leben schön?
- Wer liebt mich? Wen liebe ich?
- Was war heute schön?
- Was habe ich heute gelernt?
Diese Fragen, so der Coach, zielten auf unsere Ressourcen und unsere Lebensfreude ab. „Keinesfalls sollten Sie Ihre Antworten bewerten, denn der Vergleich ist das größte Übel unseres Wohlbefindens“, sagt Fromm, der als Lebensberater im Internet firmiert und einst Theologie studiert und 13 Jahre als Wirtschaftsredakteur gearbeitet hat. www.der-medienberater.de
Kommentar hinzufügen