Urteilsfehler vermeiden: Was Verkäufer von Feuerwehrleuten lernen können

Peter Jungblut

Der amerikanische Psychologe Gary Klein hat im Rahmen einer Studie untersucht, warum Einsatzleiter der Feuerwehr am Einsatzort mit wenig Informationen relativ gute Entscheidungen treffen. Die Arbeit von Feuerwehrleuten hat viele Parallelen zu einem Verkaufsgespräch, nicht nur die, dass Verkäufer im Verkaufsgespräch unter hohem Zeitdruck entscheiden müssen, wie sie auf ein Signal des Kunden reagieren.

Feuerwehrleute können sich auf Intuition verlassen, Verkäufer nicht so einfach.
Feuerwehrleute können sich auf Intuition verlassen, Verkäufer nicht so einfach.© Dimco/stock.adobe.com

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Was also können Verkäufer von den Einsatzleitern der Feuerwehr für ihr Verkaufsgespräch lernen?

Ein Einsatzleiter führte seine Crew in ein brennendes Haus. Der Brandherd schien sich im hinteren Teil des Hauses zu befinden. Also richtete die Crew ihren Wasserstrahl auf diesen Bereich. Allerdings hatte das nicht die erwartete Wirkung. Der Einsatzleiter bemerkte (das Signal), dass es im Haus zunehmend heißer und stiller wurde. Er befahl seinen Leuten, das Haus sofort zu verlassen. Keine Minute später stürzte der Boden ein. Das Feuer befand sich im Keller.

Das ist ein Beispiel für das, was die Forscher in ihrer Studie als „Entscheidungspunkt“ bezeichnen. Insgesamt haben sie 156 Entscheidungspunkte im Rahmen von 32 Feuerwehreinsätzen analysiert. Ziel der Interviews mit 26 Einsatzleitern war es, herauszufinden, wie sie Entscheidungen unter hohem Zeitdruck treffen und welche Rolle dabei die Intuition spielt.

Feuerwehrleute können sich auf ihre Intuition verlassen – Verkäufer weniger

Klein ging davon aus, dass die Feuerwehrleute an einem Entscheidungspunkt mehrere Optionen gegeneinander abwägen und die Option umsetzen, die ihnen am geeignetsten erscheint. Diese These wurde im Rahmen der Studie widerlegt.

Tatsächlich: Dem Einsatzleiter kommt bei einem Entscheidungspunkt nur eine einzige Option – die „plausibelste Option“ – in den Sinn. Er simuliert im Geiste deren Umsetzung und wendet diese Option an, modifiziert sie oder verwirft sie. Erst dann kommt die nächste Option ins Spiel. Das Entscheidungsmodell, das Klein aus den erhobenen Daten abgeleitet hat, bezeichnet er als Recognition-Primed-Decision-Modell (RPD).

Ich habe das Interviewkonzept, das Klein entwickelt hat, für die Interviews von Außendienstmitarbeiter*innen adaptiert und festgestellt, dass sie im Verkaufsgespräch ähnlich vorgehen.

Das gilt allerdings nicht für den ersten Entscheidungspunkt, bei dem die Entscheidungen unter hohem Zeitdruck gestellt werden. Zwar muss auch hier spätestens nach dem Small Talk eine Entscheidung getroffen werden, aber bei diesem Entscheidungspunkt wägen Außendienstmitarbeiter meiner Erfahrung nach in den meisten Fällen mehrere Optionen gegeneinander ab:

  • Vorgehen wie geplant
  • modifizierte Version anwenden
  • einen ganz anderen Weg gehen

Anders ist es, wenn eine Entscheidung innerhalb weniger Sekunden getroffen werden muss. Typische Entscheidungspunkte im Verkaufsgespräch sind hierbei körpersprachliche Signale von Kunden oder Fragen oder Einwände des Kunden, auf die der Verkäufer schnell reagieren muss.

Hier wenden Außendienstmitarbeiter das RPD-Modell an, wählen also dier erste plausible Option, die ihnen in den Sinn kommt. Aber – anders als erfahrene Feuerwehrleute – liegen erfahrene Veräufer dabei jedoch häufiger falsch!

Feuerwehrleute befinden sich in wiederkehrenden Situationen

Das liegt vor allem daran, dass sie sich weniger auf ihre Intuition verlassen können als Feuerwehrleute. Denn bei der Anwendung des RPD-Modells spielt die Intuition eine zentrale Rolle.

Nach Meinung des amerikanischen Sozialwissenschaftlers und Nobelpreisträgers Herbert A. Simon ist Intuition nichts anderes als Wiedererkennung. Die Situation liefert einen Hinweisreiz, der den Zugang zu Informationen freigibt, die im Gedächtnis gespeichert sind und aus denen sich die beste Option ableitet. Dieser Gedanke steckt auch in der Bezeichnung, die Klein für sein Modell gewählt hat: Recognition primed Decision.

Ein Grund, warum sich erfahrene Feuerwehrleute auf ihre Intuition verlassen können, liegt laut Klein darin, dass sie sich in einer „hinreichend verlässlichen Umgebung“ bewegen. Wenngleich der Zufall und viele unbekannte Faktoren bei einem Brand eine Rolle spielen, so sind die Möglichkeiten doch so überschaubar, dass die Einsatzorte der Feuerwehr die Anforderungen an eine verlässliche Umgebung erfüllen.

Verkäufer treffen auf Menschen, die nicht rein rational agieren

Die Umgebung von Verkäufern ist weniger verlässlich, weil sie es mit Menschen zu tun haben. Kunden unterliegen dem ständigen Einfluss von Mitbewerbern, Kollegen oder Vorgesetzten und verhalten sich auch selbst selten genug rational.

Der zweite und wichtigere Grund ist das direkte und eindeutige Feedback, das Feuerwehrleute auf ihre Interventionen erhalten. Eine einstürzende Kellerdecke bedarf keiner Interpretation. Der Blick eines Kunden, sein lascher Händedruck oder eine provokante Frage kann alles Mögliche bedeuten.

Feuerwehrleute sind immun gegen Urteilsfehler – im Gegensatz zu Verkäufern

Erfahrene Feuerwehrleute entwickeln im Laufe der Zeit eine gewisse Immunität gegenüber Urteilsfehlern im Rahmen ihrer Tätigkeit, da ein Fehler bei der Beurteilung einer Situation tödliche Folgen haben kann.

Verkäufer*innen entwickeln diese Immunität nicht.

Verkaufstrainings sind in der Regel viel zu stark darauf ausgerichtet, auf Signale des Kunden professionell zu reagieren, sie gehen selten auf die möglichen Urteilsfehler ein, denen ein Verkäufer dabei auf den Leim gehen kann.

Der Halo-Effekt – Verkäufer lassen sich blenden!

Ein typischer Urteilsfehler von Verkäufern ist der „Halo-Effekt“. Er wurde im ersten Weltkrieg von dem amerikanischen Verhaltensforscher Edward Thorndike entdeckt. Ihm fiel auf, dass Soldaten, die durch eine einwandfreie Körperhaltung auffielen, überdurchschnittlich oft auch als gute Schützen bewertet wurden. Er fand heraus, dass Offiziere sich durch eine positive Eigenschaft, die ihnen an ihren Soldaten auffiel, blenden ließen  (Halo = Heiligenschein) und dazu neigten, negative Eigenschaften zu übersehen oder ihnen Eigenschaften zu unterstellen, die die dominante Eigenschaft zu einem gefälligen Gesamtbild ergänzten.

Der Halo-Effekt führt bei Verkäufern häufig dazu, dass sie das Potenzial von Kunden überschätzen oder den Aufwand unterschätzen, einen Interessierten zum Kunden zu machen. Es gibt viele Parallelen zwischen der Arbeit eines Einsatzleiters der Feuerwehr und der eines Verkäufers am „Einsatzort“. Beide müssen unter hohem Zeitdruck und auf fragiler Informationsbasis wichtige Entscheidungen treffen.

Fazit des Experten

Anders als Feuerwehrleute können sich Verkäufer dabei weniger auf ihre Intuition verlassen. Der entscheidende Grund dafür ist, dass Verkäufer, im Gegensatz zu Feuerwehrleuten kein direktes Feedback auf ihre Entscheidungen erhalten, bzw. dass dieses Feedback durch Urteilsfehler falsch interpretiert werden kann.

Deshalb ist es für Verkäufer umso wichtiger, sich mit Urteilsfehlern auszukennen, wenn Sie eine verlässliche Intuition entwickeln und effektiver an den Entscheidungspunkten im Rahmen eines Verkaufsgespräches reagieren wollen.

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Zur Person

Peter Jungblut vertritt die These, dass die Basis des erfolgreichen Verkaufens das Wissen über die Frage ist, wie Menschen Entscheidungen treffen und welchen Urteilsfehlern sie dabei auf den Leim gehen können. Die Vermittlung dieses Wissens an Außendienstmitarbeiter ist sein USP als Berater, Trainer und Coach. Seine Bücher zu dem Thema verkauft er über seinen eigenen Verlag. www.decident.de

Peter Jungblut

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