Vom Kauf überzeugen oder beim Einkauf helfen – Wie tickt ihr Vertrieb?

Zwei schlichte Begriffe, die das vorherrschende Weltbild des Vertriebs auf den Kopf stellen: Kaufentscheidung und Coaching. Beide Begriffe definieren das Verhältnis zwischen Vertrieb und Kunde neu. Sie stellen den Kunden in den Mittelpunkt und den Vertrieb in den Dienst des Kunden. Wer möchte, dass Kunden kaufen, muss den Kunden und seine Entscheidungssituation verstehen. Und er muss eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen. Erst dann hat er Chancen am internen Dialog des Kunden teilzunehmen. 

Entscheidungscoaching als Aufgabe des Vertriebs: Den Kunden zum Kauf führen
Entscheidungscoaching als Aufgabe des Vertriebs: Den Kunden zum Kauf führen © fizkes/stock.adobe.com

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Es geht ums Kaufen und nicht um Verkaufen

Klingt akademisch. Ist es aber nicht. Diese Sichtweise, die Fokussierung auf die Kaufentscheidung eines Kunden, macht einen erheblichen Unterschied und richtet die Aufmerksamkeit auf einen äußerst vertriebsrelevanten Aspekt, über den sich viele Verkäufer nicht im Klaren sind und der der Grund dafür ist, warum viele Vertriebsbemühungen erfolglos bleiben.

Treffen Verkäufer und Kaufinteressent aufeinander, dann finden immer zwei Gespräche parallel statt. Der Verkäufer führt mit dem potentiellen Käufer ein Verkaufsgespräch. Er erklärt die Eigenschaften und Vorteile seiner Produkte, versucht, Zweifel des Gesprächspartners zu zerstreuen, stellt Fragen, um herauszufinden, welche besonderen Anforderungen und Bedürfnisse er berücksichtigen muss und spricht natürlich auch über Preise.

In einem solchen klassischen Verkaufsgespräch, wie es in diesem Augenblick tausendfach geführt wird, versucht der Verkäufer einen Interessenten geschickt in Richtung eines Kaufes zu lenken und ihn damit in einen Kunden zu verwandeln.

Für diese Art von Überzeugungsgespräch sind Verkäufer geschult. Sie sind Produktexperten, geschulte Präsentatoren, rhetorisch geschickte Einwandbehandler, gute Fragensteller und Gesprächsführer und sie beherrschen alle Abschlusstechniken. In ihrem Vertriebsgespräch versuchen sie, eine aktive und steuernde Rolle einzunehmen.

Gleichzeitig findet jedoch noch eine Parallelunterhaltung statt, an der der Verkäufer in der Regel kaum beteiligt ist, weil sie ihm nicht bewusst ist, und weil es auch deutlich schwieriger ist, sich dort einzubringen: Der potenzielle Kunde führt ein internes Kaufgespräch, bei dem es um seine Entscheidungsfindung geht.

Ein Verkäufer versucht in der Regel, zu verkaufen. Aber ausschlaggebend ist die Kaufentscheidung seines Gesprächspartners. Und dieser Entscheidungsprozess findet im Kopf des Kunden statt.

Warum ist diese Unterscheidung so wichtig? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Vorgehen und die Gesprächsführung von Vertrieblern?

Warum Kunden nicht kaufen

So, wie es viele schlechte Verkäufer gibt, gibt es auch viele schlechte Käufer.

Der beste Verkäufer hat bei einem schlechten Käufer sehr schlechte Erfolgsaussichten, wenn er nicht erkennt, warum sein Gegenüber in einer bestimmten Entscheidungssituation ein schlechter Käufer ist. Kaufen heißt immer, eine Entscheidung zu treffen. Ein schlechter Käufer ist daher jemand, der sich schwer damit tut, Entscheidungen zu treffen.

Sehr viele Vertriebsprozesse enden in einer Sackgasse der Nichtentscheidung, häufig ohne dass dem Vertriebler der Grund für die Entscheidungsblockade beim Einkäufer transparent geworden ist. Es geht dabei nicht um klare Absagen, wenn beispielsweise das Produkt nicht passt oder es bessere Wettbewerbsangebote gibt, denn hier hat ein Einkäufer aktiv entschieden – und ein Vertriebler kann wenig retten. Aber es gibt sehr viele Vertriebssituationen, die daran scheitern, dass Interessenten keine aktive Entscheidung treffen.

Gründe, warum ein Käufer keine Kaufentscheidung trifft

  • Der Einkäufer hat Angst vor einer falschen Entscheidung, fürchtet interne Kritik oder die Auseinandersetzung mit anderen Fachabteilungen.
  • Er hat keine ausreichenden Entscheidungskompetenzen oder traut sich nicht, von seinen Kompetenzen Gebrauch zu machen, versteht das Produkt und die Vorteile seines Einsatzes nicht ausreichend, aber traut sich nicht nachzufragen.
  • Er sieht für sich mehr Risiken als Profilierungsmöglichkeiten
  • Er hat schlicht keine Vorstellung davon, welches Problem wirklich zu lösen ist, worauf es bei der Lösung ankommt und was er mit dem Kauf eines bestimmten Produktes im Unternehmen bewirken möchte oder könnte.

Das sind alles gewaltige Barrieren für eine Kaufentscheidung, die weniger mit dem Produkt oder dem Vertriebler zu tun haben als mit den Rahmenbedingungen, den Sichtweisen und den persönlichen Zweifeln desjenigen, der eine Kaufentscheidung treffen muss.

Es geht also nicht so sehr um fehlendes Vertrauen des Kunden dem Verkäufer oder dem angebotenen Produkt gegenüber, sondern, dass er sich selbst nicht vertraut, dass es ihm an Übersicht und Klarheit fehlt.

Genau an diesem Punkt beginnt die Herausforderung für den Vertriebler: Er muss versuchen herauszufinden, was im Kopf des Kunden passiert und sich in dessen inneren Dialog einzuschalten, mit dem Ziel, dabei zu helfen, die Kaufentscheidungsblockaden zu entfernen. Und das ist leichter gesagt als getan.

Niemand mag Belehrung

Sie kennen bestimmt die „Zehn Gründe, ein Produkt zu kaufen“, ein beliebtes Instrument von Vertriebstrainern. Mindestens zehn überzeugende Gründe, die für das eigene Produkt sprechen, zu kennen, schadet nicht, ist aber sicherlich kein Erfolgshebel. Es gehört zur vertrieblichen Basisausstattung, zum Kapitel Produkt-Knowhow. Vertrieb braucht gute Produktkenntnis, aber damit allein kann heute niemand mehr punkten.

Sie kann sogar zum Problem werden, wenn ein Verkäufer auf diesem Faktenwissen seine Verkaufstaktik aufbaut: auf seine Produktpräsentationen schwört, glaubt, in Pro & Contra-Diskussionen punkten zu müssen und von sich erwartet, jeden Zweifel und Einwand wohl begründet widerlegen zu können. Das ist ein Verkäufer, der seine Aufgabe darin sieht, zu überzeugen.

Er ist damit in der Rolle eines klassischen Lehrers, der seinen Schülern immer einen Schritt voraus ist, immer mehr weiß, die Antworten auf alle möglichen Fragen schon kennt und mit wohlformulierten Erklärungen Wissen zu vermitteln versucht. Nur wie viele Schüler begeistert das? Wie viele Lehrer adressieren die inneren Dialoge von Schülern, deren Sinnfragen, Unsicherheiten und Bedürfnisse? Wie viele Vertriebler die ihrer Kunden? Nicht viele.

Zudem: Wer will überzeugt und belehrt werden? Wer will, dass ihm etwas verkauft wird? Wen begeistern faktenschwere Power-Point Präsentationen? Wer kauft auf der Basis von „10 Gründen, warum mein Produkt das Beste ist und Sie von mir kaufen sollten“? Zu wenige, um als Unternehmen überleben zu können.

Um diesen Vergleich weiter zu führen, sollte der Vertrieb sich eher an der Rolle der Schüler orientieren: Neugierig sein, Fragen stellen, beobachten und lernen. Also, sich unvoreingenommen, offen und intensiv mit seinem Gegenüber beschäftigen, um zu erkennen, in welcher Situation sich der potenzielle Käufer befindet, mit welchen Fragen er sich im Zusammenhang mit einer Kaufentscheidung beschäftigt, welche Verbindungen zwischen dem zu verkaufenden Produkt und den Interessen des Entscheiders hergestellt werden können.

Einkäufer benötigen jemanden, der ihnen hilft, zum einen ihre Problemlösungskompetenz zu verbessern und zum anderen, eine Entscheidung zu treffen. Darin liegt für sie der Nutzen eines Gesprächs mit einem Vertriebler.

Diesen Nutzen kann der Vertriebler jedoch nur erbringen, wenn er diese neue Aufgabenstellung annimmt, seine Rolle im Kaufprozess neu definiert, von der traditionellen Verkaufsagenda abweicht und entsprechend kundenorientiert agiert. Auch das ist leichter gesagt als getan.

Die Schwierigkeit, sich auf einen Kunden zu konzentrieren

Es gibt wenige Aufgaben, die für Menschen eine größere Herausforderung darstellen, als ihr Rollenverständnis zu verändern. Zumal, wenn es eine Rolle ist, die ihnen über Jahre genauso beigebracht und durch ihr Umfeld verstärkt wurde. Aber es gibt noch andere Faktoren, die es einem Vertriebler erschweren, sich wirklich im oben beschriebenen Sinne kunden- und kaufprozessfokussiert zu arbeiten.

Es wird Vertrieblern häufig sehr schwer gemacht, sich wirklich auf ihre Kunden zu konzentrieren, weil sie von allen Seiten abgelenkt werden. Sie haben Verkaufsziele, deren Erfüllung direkt mit ihren persönlichen Einnahmen in Verbindung stehen.

Es gibt Vorgaben für die Anzahl von Kundenkontakten und die Häufigkeit von Kundenbesuchen – ob der Kunde das möchte oder nicht. Aktivitäten werden gemessen und bewertet. Sie stehen unter permanentem Ergebnis- und Rechtfertigungsdruck. Das Denken ist geprägt von Zielerreichung, Vertriebsprozessstufen, Funnels und Konvertierungsquoten.

Weit verbreitet ist der Anspruch, dass der Vertrieb den Vertriebsprozess steuern und kontrollieren muss. Unter solchen Bedingungen wird der Kunde zum Spielball einer Verkaufsmaschinerie. Der Vertrieb tickt nach seinen eigenen Regeln und ist ausgerichtet an den eigenen Zielen und Bedürfnissen. Kunden werden danach bearbeitet. Hauptdarsteller ist der Vertrieb, der dadurch einen Gegensatz zum Kunden aufbaut, der den Weg zum eigentlichen Ziel seiner Bemühungen verbaut. Denn Kunden geben ungern die Kontrolle über ihren Einkaufsprozess ab.

Vertrieb ist Entscheidungscoaching

Was Kunden jedoch akzeptieren, wenn nicht erwarten, ist die partnerschaftliche Unterstützung bei ihrem Entscheidungsprozess. Dazu gehört, dem Kunden zu helfen, das zu lösende Problem richtig zu definieren, Sichtweisen zu verändern und neue Lösungsmöglichkeiten zu erkennen, Klarheit zu erhalten über Ziele und Anforderungen, Selbstzweifel und Unsicherheiten abzubauen, gewappnet zu sein und sich sicher zu fühlen für interne Diskussionen.

Und natürlich geht es auch darum, dass der Kunde die wesentlichen Merkmale und Stärken eines Produktes versteht. Aber das ist eben nur ein Aspekt und bei weitem nicht der wichtigste.

Deutlich wird, dass es hier um eine völlig andere Art des Umganges mit Kunden, bei dem ein komplett anderes Ziel verfolgt wird. Der Kunde soll nicht von der Richtigkeit eines Verkaufsarguments überzeugt werden, sondern selbst zu der Erkenntnis kommen, was richtig ist und benötigt wird, um eine Entscheidung zu treffen, mit der er sich wohl fühlt.

Diese Form der Zusammenarbeit hat sehr viele Gemeinsamkeiten mit dem Zusammenspiel zwischen Coach und Coachee. Der Vertrieb wird zum Entscheidungscoach. Im Mittelpunkt steht der Kunde mit seinen Sichtweisen, Bedürfnissen, Problemen und seinem Beziehungssystem. Ausgangspunkt ist die Perspektive des Kunden, seine Ziele und Interessen – und nicht die des Vertriebs.

Ein Coach ist kein Rezeptgeber oder Lösungslieferant, sondern vielmehr Impulsgeber und Herausforderer. Sein Ziel ist es, zunächst einmal zu verstehen, wie jemand Entscheidungen trifft, wer an dem Prozess beteiligt ist,  um welche Probleme es im Unternehmen wirklich geht, nach welchen Kriterien entschieden wird und was einer Entscheidung im Wege stehen könnte. Mit diesem Verständnis kann er dann gezielt den Entscheidungsprozess unterstützen.

Das Instrument des Coaches sind Fragen. Der Coach übernimmt nicht die Rolle des Beraters oder Experten und schon gar nicht die des Verkäufers, sondern versucht, durch Fragen, dem Coachee zu helfen, neue Handlungsoptionen und eigenen Lösungen zu finden und zu realisieren. Also mit Blick auf den Vertrieb, initiativ zu werden und eine Kaufentscheidung zu treffen.   

Ernst machen mit der Kundenorientierung

Primäres Ziel vertrieblicher Tätigkeit sollte es also sein, Kunden in die Lage zu versetzen, gute Entscheidungen zu treffen. Was gutes Management für seine Mitarbeiter ist, Befähiger und Ermöglicher zu sein, das wird ein guter Vertrieb dadurch für seine Kunden. Das ist ernst gemeinte Kundenorientierung. Wenn der Verkäufer sein Ego, seine Verkaufsziele, seine Vorstellungen von einem Verkaufsprozess und seinen Verkaufsdruck an der Tür zusammen mit seinem Mantel abgibt, um sich dann voll auf seinen Kunden konzentrieren zu können.

Wie sich dieses Vertriebsvorgehen vom klassischen Verkaufs unterscheidet, hat die amerikanische Bürgerrechtlerin Maya Angelou treffend beschrieben – allerdings ohne dabei an den Vertrieb zu denken: „Ich habe gelernt, dass Menschen vergessen, was man gesagt hat, dass Menschen vergessen, was man getan hat, aber dass Menschen niemals vergessen, welche Gefühle man in ihnen hervorgerufen hat.“ Bezogen auf den Vertrieb ist es das gute Gefühl des Kunden, eine richtige Entscheidung getroffen und dadurch etwas bewegt zu haben.

Hier noch einmal im Überblick die Unterschiede zwischen den Vertriebsansätzen:

verkaufender Vertriebcoachender Vertrieb
Hauptperson VerkäuferHauptperson Käufer
Steuert VerkaufsprozesseUnterstützt bei Kaufprozessen
Führt Verkaufsgespräche, um zu überzeugenEntfernt Barrieren im inneren Dialog des Kunden
Verfolgt eigene ZieleVerfolgt ein gemeinsames Ziel mit dem Kunden
Verfolgt VerkaufszieleErmöglicht gute Kaufentscheidungen
Push-ModellPull-Modell
Ist ExperteIst Coach
Ist ProduktexperteVersteht den Kunden und seine Entscheidungssituation
Nutzt Argumente und WissenStellt erkenntnisauslösende Fragen
Gewinnt das Vertrauen des KundenStärkt das Selbstvertrauen des Kunden
Argumentiert mit ProduktvorteilenVerbindet das Produkt mit den Wünschen, Anforderungen und Handlungs-bedingungen des Kunden
Liefert LösungenHilft Kunden, Probleme besser zu verstehen und selbst Lösungen zu finden
Überzeuger (Produkt/Service)Befähiger (Entscheidung)

 

* Zu dem Konzept, dass es im Vertrieb weniger um den Verkäufer als den Kunden und mehr um die Kaufentscheidung des Kunden als den Verkaufsprozess gehen sollte, gibt es ein lesenswertes Buch von Jeffrey Lipsius, Selling to the point.

Dr. Udo Kords

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