Vom Top-Verkäufer zum Vertriebsleiter: Geborene Leader gibt es nicht

Nur weil Top-Verkäufer in die Chefetage aufsteigen, werden sie nicht automatisch zu Top-Anführern. Was muss sich also auf dem Weg zum Vertriebleiter ändern, um eine erfolgreiche Führungskraft zu werden? Einmal ganz oben stehen und den Ton angeben – wer hat nicht schon einmal davon geträumt, aus der Riege der Top-Verkäufer aufzusteigen, im Chefsessel Platz zu nehmen und das Zepter zu schwingen? Doch kaum sind Karriereleitern erklommen und die Visitenkarten mit dem neuen Jobtitel als Vertriebsleiter gedruckt, zerplatzt die Blase häufig.

Endlich Vertriebsleiter: Wie meistern Sie Ihre neue Rolle?
Endlich Vertriebsleiter: Wie meistern Sie Ihre neue Rolle?© : Minerva Studio/stock.adobe.com

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Mitarbeiterführung, Streitschlichtungen sowie fehlende Akzeptanz holen Träumer schnell auf den Boden der Tatsachen zurück − spätestens dann, wenn frischgebackene Chefs zum nächsten Stammtisch keine Einladung mehr bekommen und scheinbar alles im Chaos versinkt, weil sie zwischen Kundenterminen, Meetings und neuen Aufgaben den Blick für ihre eigentliche Führungstätigkeiten verlieren.

Niemand wird als Leader geboren

Wer in die oberste Etage als Vertriebsleiter gelangt, muss seine neue Rolle im Management sowie gegenüber den Teammitgliedern erst verorten. Um allen Anforderungen gewachsen zu sein, scheinen an der einen oder anderen Stelle Superkräfte gefordert – besonders im Vertrieb. So muss sich der neue Vertriebsleiter in der Übergangsphase einarbeiten, während die Verkäufer weiterhin selbstverantwortlich Umsatz generieren, das Teamwork steigern und ihre Kunden betreuen.

Doch was bedeutet es heute, in einer Zeit, in der die Hierarchien flacher und die sichtbaren Machtattribute weniger geworden sind, Chef zu sein? Welche Eigenschaften sollte ein Leader angesichts VUCA-Bedingungen, KI und Arbeit 4.0 mitbringen?

Verkaufen heißt führen?

Spitzenvertriebler bringen ihre Kunden gezielt zum Abschluss und erzielen hohe Umsätze. So oder so ähnlich lässt sich das Jobprofil von Sales-Profis kurz zusammenfassen. Übernehmen sie jedoch Führungsverantwortung, verändert sich ihre Kernaufgabe grundlegend. Plötzlich ist nicht mehr nur Fachwissen über Produkte, Dienstleistungen und Verkaufstechniken gefragt, sondern Führungskompetenz.

Damit verändert sich mehr als nur die Perspektive auf den Vertrieb. Vieles, was ursprünglich zum beruflichen Erfolg beigetragen hat, funktioniert unter den geänderten Rahmenbedingungen nicht mehr.

Neue Aufgaben rücken verstärkt in den Vordergrund: Neben administrativen Tätigkeiten, der Definition von Strategie, Personalverantwortung und dem Festlegen von Zielen, übernehmen Vertriebsleiter die Aufgabe, ihre Mitarbeiter zu einem erfolgreichen Team zusammenzuführen. Dadurch entstehen die gewünschten Synergieeffekte, also Produktivitäts- und Qualitätssteigerung.

Eine funktionierende Dynamik hängt von verschiedenen harten und weichen Faktoren ab. Kommunikation sowie ein Gespür für Zwischenmenschliches spielen eine ebenso große Rolle wie Digitalisierung, Change- und Pipeline-Management, Eigenmarketing und Sales-Funnel.

Laissez-faire kann sich ein Chef nicht erlauben. Stattdessen sollte der Vertriebsleiter von Anfang an als Vorgesetzter, der fordert und fördert, als Mentor, der Werte und Normen definiert, sowie als Deeskalationsinstanz und Konfliktlöser fungieren.

Bei frischgebackenen Managern muss also ein neues Rollenbewusstsein her, sonst verflüchtigt sich der Teamspirit.

Inszenierung vs. Authentizität

Um keine Sympathien einzubüßen und es allen recht zu machen, verbiegen sich viele Führungspersonen in alle Richtungen – vor allem in den ersten 100 Tagen. Doch mit wachsender Verantwortung gehen früher oder später Entscheidungen einher, die nicht überall auf Zustimmung treffen.

Wer sein Fähnchen nach dem Wind hängt, kommt mittel- und langfristig in die Bredouille, nicht ernst genommen zu werden. Nur wer sich selbst treu bleibt, strahlt die notwendige Sicherheit und Verlässlichkeit aus, an der sich Mitarbeiter gern orientieren. Ein Bewusstsein für die eigenen Stärken und Schwächen, Ehrlichkeit, konsequentes Handeln und Aufrichtigkeit stehen dabei im Vordergrund. Spezielle Workshops und Coachings helfen neuen Vertriebschefs, ihre Einstellungen und ihr Verhalten zu reflektieren und an ihrem Führungsverständnis zu arbeiten.

Panzer als Schutzschild

Schlechte Quartalszahlen und eskalierende Konflikte? Team- und vor allem Vertriebsleiter müssen für vieles den Kopf hinhalten, denn mit einer höheren Position tragen sie mehr Verantwortung. Nicht immer haben sie Verbündete. Daher ist es manchmal von Vorteil, etwas Distanz zu den Mitarbeitern zu wahren. Viele Manager lassen sich mit der Zeit eine Art Panzer wachsen, an dem alles abprallt.

Führungskräfte tun gut daran, besonders Konflikte nicht zu nah an sich heranzulassen. Es gilt jedoch eine gute Balance zu finden: Eine zu große Distanz zum Team kann schnell reserviert, unnahbar oder sogar arrogant wirken; extrem mitfühlende oder übertrieben emotionale Chefs sehen sich dagegen schnell mit dem Verdacht auf Irrationalität oder Entscheidungsschwäche konfrontiert. Ein wirkliches Patentrezept, um das Dilemma zwischen Distanz und Nähe zu lösen, existiert nicht.

Jeder Wirtschaftszweig, jedes Unternehmen und jedes Team hat seine eigenen Spielregeln und individuelle Dynamik. Gemeinsam können aber Umgangsformen und Strukturen definiert werden, die es ermöglichen, Nähe und Distanz auszutarieren. Dabei dürfen auch Spannungen und Konflikte auftreten, vorausgesetzt, diese werden auf der Sachebene geklärt.

Eiserne Härte?

Führungspersonen müssen nicht nur Nerven aus Stahl haben, sondern auch in ihrem Handeln konsequent sein. Neben dem Setzen von Grenzen und dem Sanktionieren von Verstößen kommt Führungskräften die Aufgabe zu, stets mit gutem Beispiel voranzugehen.

Chefs müssen sich bewusst sein, dass sie immer als Vorbild fungieren und damit die akzeptierte Verhaltensnorm definieren. Dabei geht es nicht darum, emotionale Reden zu schwingen oder ein Leitbild zu formulieren und an die Wand zu hängen.

Besonders wer kleine Gruppen anführt, sollte von Anfang an Regeln für die Zusammenarbeit aufstellen, um potenzielle Konflikte zu vermeiden. Erarbeiten Vertriebsteam und Chef solche Normen und Werte gemeinsam, erhöht das den Zusammenhalt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Beteiligung von Mitarbeitenden ernst gemeint ist. Bleibt es bei leeren Versprechungen, richtet das mehr Schaden an, als es Nutzen bringt. Vor allem geht Vertrauen verloren, was häufig dafür sorgt, dass sich Einzelne im Team unwohl fühlen, wodurch wiederum Motivation und Produktivität sinken.

Delegieren gewünscht

Ein Geschäftstermin folgt auf den nächsten und kaum im Büro angekommen, warten auch schon die eigenen Mitarbeiter mit aktuellen Anliegen vor der Tür. Für viele Teamleiter bedeutet eine Beförderung im Vertrieb ein Plus an Arbeit. Da käme die Fähigkeit, blitzschnell von A nach B zu kommen, um überall mit anzupacken, gerade recht.

In führender Position fällt es oft schwer, loszulassen und Aufgaben zu delegieren. Die Krux beim Management liegt zum einen in der Überzeugung, dass ein Team mehr erreichen kann als ein Einzelner und zum anderen in der Einsicht, nicht alles selbst machen zu müssen.

Viele Vertriebsleiter unterschätzen besonders den positiven Effekt des Delegierens. Wer Aufgaben abgibt, profitiert in mehrfacher Hinsicht. Denn neben der eigenen Arbeitsentlastung bedeutet ein Vertrauensvorschuss gleichzeitig eine Motivationsspritze für das Team. Dabei gilt es, die eigenen Kräfte zu fokussieren, um die Idealbesetzung für die jeweilige Aufgabe zu finden, gemeinsam Ziele abzustecken und nur so viel Kontrolle auszuüben wie nötig.

Offenes Ohr fürs Vertriebsteam

In Zeiten flacher Hierarchien und einer ausgeglichenen Work-Life-Balance bildet Empathie ein Schlüsselelement für modernes Management. Der Anspruch an sich selbst, die eigenen Mitarbeiter und deren Bedürfnisse zu kennen, verlangt von so manchem Chef geradezu telepathische Fähigkeiten. Ständige Gesprächsbereitschaft sowie regelmäßiges Feedback helfen nicht nur den Mitarbeitern, sondern bringen auch die Führungsperson auf den aktuellen Stand. Niemand ist in der Lage, Gedanken zu lesen.

Nur durch aktive Gesprächsangebote lässt sich langfristig eine Kultur des Austauschs im Unternehmen etablieren. Wichtig dabei: Dialog ist keine Einbahnstraße. Oft liegen Welten zwischen dem, was Führungskräfte für notwendig halten, und dem, was Mitarbeiter sich wünschen oder brauchen. Allerdings kann Feedbackgeben trainiert werden.

Ein Fazit

Fest steht: Kaum etwas ist komplexer, als Chef zu sein. Autoritäre Führungsmodelle taugen heute nicht mehr. Einerseits sind kenntnissichere und selbstbewusste Mitarbeiter vor allem im Vertrieb an eigenständiges Arbeiten sowie an Dialog- und Diskussionskultur gewohnt. Anderseits verändern Digitalisierung und Globalisierung die Vertriebswelt radikal. Doch vor allem da, wo tief greifende Veränderungen anstehen, bedarf es der Orientierung durch Führung. Auch die Veränderung will gestaltet werden.

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