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Herr Dr. Kieser, es war bisher doch üblich, dass Unternehmen bei der Gestaltung ihrer variablen Vertriebsvergütung große Freiheiten hatten, speziell bei der Ausgestaltung des variablen Einkommensanteils? Manche Vertriebsmitarbeiter werden offenbar mit relativ niedrigen variablen Einkommensanteilen vergütet, andere, z.B. Verkäufer im Automobil-Bereich, mit sehr hohen variablen Anteilen. Welcher variable Einkommensanteil ist nun für eine wirkungsvolle Vertriebsvergütung richtig?
Zunächst sei an dieser Stelle angemerkt, dass es den allgemein richtigen oder gültigen variablen Anteil so strikt nicht gibt.
Ich erlebe in meiner Beratungspraxis allerdings sehr häufig, dass der variable Einkommensanteil des Mitarbeiters nicht passt. Da gibt es z.B. mitunter extrem niedrige variable Einkommensanteile von nur 5% oder 10% vom Gesamteinkommen des Mitarbeiters. Dennoch erhoffen sich die Unternehmen davon spürbare Wirkungen. Die gibt es aber natürlich so nicht.
Ist es denn tatsächlich so, dass die Wirkung der variablen Vertriebsvergütung von der Höhe des variablen Einkommensanteils abhängt?
Wenn nachhaltiges Verhalten der Mitarbeiter in Bezug auf Zielerreichung und Selbststeuerung bewirkt werden soll, dann muss der variable Anteil am Einkommen des Mitarbeiters spürbar sein. Mit zu niedrigen variablen Einkommensanteilen, die eher den symbolischen Charakter des Sahnehäubchens besitzen, bewegt man in der variablen Vertriebsvergütung nicht viel.
Bedenken Sie: Üblicherweise werden Vertriebsmitarbeiter in der modernen Vertriebsvergütung mit vier, fünf oder sechs Leistungskriterien vergütet. Teilt man einen sehr niedrigen variablen Anteil nun noch auf diese auf, dann wird schnell klar, dass das nicht besonders motivierend ist.
Gibt es bzgl. des variablen Einkommensanteils auch Grenzen nach oben?
Ja, variable Einkommensanteile über 30% sind aus arbeitsrechtlicher Sicht für die variable Vertriebsvergütung zunehmend unpassend. Seitens der Arbeitsgerichte wird heute für den variablen Anteil eine Obergrenze von 25% bis 30% vom gesamten Mitarbeitereinkommen gesehen. Das wird wie folgt begründet: Ein Mitarbeiter in einem festen Anstellungsverhältnis braucht Berechenbarkeit und Verlässlichkeit seines Einkommens. Ein hoher variabler Einkommensanteil steht dem aus Sicht der Arbeitsgerichte aber entgegen.
Welche Sanktionen drohen im Falle eines zu hohen variablen Einkommensanteils an der Vertriebsvergütung?
Direkte Sanktionen drohen nicht, doch wären bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung unangenehme und teure Folgen möglich. Ein fest angestellter Außendienstmitarbeiter mit zu hohem variablem Einkommensanteil kann seitens der Arbeitsgerichte in der Nähe eines Handelsvertreters gesehen werden.
Für Handelsvertreter gibt es den sogenannten Ausgleichsanspruch, der in § 89b HGB geregelt ist. Dort wird festgelegt, dass einem Handelsvertreter nochmals eine Jahresprovision zusteht, wenn er ausscheidet oder in den Ruhestand geht. Ermittelt wird der Betrag als Durchschnitt aus den letzten fünf Jahren. Wenn nun ein fest angestellter Reisender z.B. über einen variablen Anteil von 50% oder mehr verfügt, kann ihm dieser Ausgleich zuerkannt werden.
Wird dann aber die variable Vertriebsvergütung nicht langweilig, wenn der variable Einkommensanteil gekürzt wird?
Ich erlebe bei meinen Kunden häufig, dass bei einer Absenkung vorher sehr hoher variabler Einkommensanteile die Befürchtung aufkommt, die Vertriebsvergütung würde dadurch langweilig werden. Das ist aber dann nicht wirklich der Fall, wenn – wie in der modernen variablen Vertriebsvergütung üblich – mit Zielprämien gearbeitet wird. Diese Zielprämien haben einen sehr steilen Verlauf und sorgen dafür, dass die Sache spannend bleibt.
Von welchen Aspekten ist es eigentlich abhängig, ob ein variabler Anteil im Rahmen der variablen Vertriebsvergütung eher bei 15% liegen soll oder eher bei 30%?
Sind die Leistungskriterien, die dem Mitarbeiter im Rahmen seiner Vertriebstätigkeit vergütet werden, von ihm gut beeinflussbar, dann spricht das eher für einen höheren Anteil von 25% oder 30%. Ist das Geschäft aber sehr volatil und damit einhergehenden zufälligen Schwankungen unterworfen wie z.B. im Maschinenbau oder in der Software-Entwicklung, dann sollte der Anteil eher bei 15% oder 20% liegen.
Herr Dr. Kieser, vielen Dank für das Gespräch.
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